Kein Widerruf bei individueller Kundenspezifikation – Fertigungsbeginn unerheblich

Bei Fernabsatzverträgen besteht für den Verbraucher grundsätzlich ein Widerrufsrecht, mittels dessen er sich vom Vertrag lösen kann. Eine wichtige Ausnahme besteht jedoch dann, wenn eine Ware verkauft wird, die nicht „von der Stange“ ist, sondern nach individueller Kundenspezifikation gefertigt wird. Auf den Umstand, ob mit der Fertigung bereits begonnen wurde, kommt es nach dem EuGH dabei nicht an.
Worum geht es?
Des Verbrauchers Freud, des Händlers Leid – so lässt sich das gesetzliche Widerrufsrecht zusammenfassen.
Während es dem Käufer maximale Freiheit und Sorglosigkeit bei Käufen außerhalb von Geschäftsräumen (etwa an der Haustüre) bzw. in Fernabsatz (etwa in einem Onlineshop) ermöglicht, beschert es den Händlern viel Aufwand und hohe (Retouren)Kosten.
Dass das Interesse des Verbrauchers an einer Loslösung vom Vertrag jedoch nicht in jedem Fall über das Interesse des Händlers an einem Fortbestehen des geschlossenen Vertrags zu stellen ist, hat der Gesetzgeber erkannt. Daher sind gesetzlich eine Vielzahl von Ausschlussgründen verankert, bei deren Vorliegen das grundsätzlich bei solchen Verträgen immer bestehende Widerrufsrecht ausnahmsweise ausgeschlossen ist.
Doch in der Praxis sorgen diese – abstrakt-generell – formulierten gesetzlichen Ausschlussgrunde häufig für Streit. Während der Verbraucher davon ausgeht, im stehe ein Widerrufsrecht zu, vertritt der Händler nicht selten die Ansicht, dieses sei im konkreten Fall ausgeschlossen.
Immer wieder führt dies zu Rechtstreitigkeiten, etwa wenn der Händler den widerrufenden Verbraucher dann auf Erfüllung des Vertrags in Anspruch nimmt. Das Gericht muss dann prüfen, ob der Ausschlussgrund im konkreten Fall anwendbar ist.
So auch in einem Fall, in welchem nun der EuGH Stellung nehmen musste, ob der Ausschluss vom Widerrufsrecht greift oder nicht.
Ausschlussgrund der individuellen Kundenanfertigung
Das Gesetz sieht insbesondere dann einen Ausschluss des Widerrufrechts vor, wenn Waren verkauft werden, die nicht vorgefertigt sind und nach individuellem Kundenwunsch gefertigt werden.
Dazu heißt es in § 312g Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB:
„§ 312g Widerrufsrecht
(1) Dem Verbraucher steht bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen und bei Fernabsatzverträgen ein Widerrufsrecht gemäß § 355 zu.
(2) Das Widerrufsrecht besteht, soweit die Parteien nichts anderes vereinbart haben, nicht bei folgenden Verträgen:
1. Verträge zur Lieferung von Waren, die nicht vorgefertigt sind und für deren Herstellung eine individuelle Auswahl oder Bestimmung durch den Verbraucher maßgeblich ist oder die eindeutig auf die persönlichen Bedürfnisse des Verbrauchers zugeschnitten sind,“
Dieser Ausschluss hat seine Rechtfertigung in erster Linie darin, dass eine solche (spezielle) Ware in aller Regel nach einem Widerruf nicht mehr verkäuflich ist.
Der Unternehmer soll deshalb durch den Ausschluss des Widerrufsrechts davor geschützt werden, auf der Ware sitzen zu bleiben.
Kauf einer Maßküche auf einer Messe führte zum Streit
Mit seinem Urteil vom 21.10.2020 (Az.: C-529/19) musste der EuGH über eine Vorlagefrage des Amtsgerichts Potsdam entscheiden. Ein Möbelhandler hatte eine Kundin auf Schadensersatz verklagt, die als Verbraucherin bei ihm auf einer Messe eine Küche gekauft hatte. Dabei wurden auch individuelle Anpassungen der Küche an die Wünsche der Kundin vereinbart. Es sollten also individuelle Veränderungen an der Küche seitens des Händlers vorgenommen werden.
Einige Tage nach dem Kauf überlegte es sich die Kundin anders und widerrief den Kaufvertrag binnen der 14tägigen Widerrufsfrist. Schließlich handele es sich um einen außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Vertrag, für den das Gesetz grundsätzlich ein Widerrufsrecht vorsieht.
Der Händler war anderer Ansicht und verweigerte die Auflösung des Vertrags. Die Kundin wollte die Küche weiterhin nicht abnehmen und bezahlen. Schließlich ging er gerichtlich gegen die Kundin vor und verlangte Schadensersatz, eben weil diese den Vertrag nicht erfüllte.
Im Rahmen der Klage des Händlers war sich das AG Potsdam bei der Anwendung des Ausschlussgrundes nach § 312 g Abs. 2 Nr. 1 BGB nicht sicher und entschied sich, die Frage der Anwendbarkeit dem EuGH vorzulegen (denn die Ausschlussgründe im BGB fußen auf dem europäischen Recht der Verbraucherrechterichtlinie).
Der Händler hatte im Zeitpunkt des Widerrufs noch gar nicht produziert
Der Knackpunkt war im vorliegenden Fall, dass zwar individuelle Anpassungen an der Küche Vertragsgegenstand waren, der Möbelhändler aber mit der Produktion der Küche noch gar nicht begonnen hatte, als die Kundin widerrief.
Somit lässt sich die Argumentation hören, dass ein Ausschluss des Widerrufsrechts hier (noch) gar nicht erforderlich sei, weil der Händler nicht schutzbedürftig ist. Die (individuell angefertigte) Ware, auf der er sitzen zu bleiben droht, gibt es ja mangels Produktionsbeginn hier noch gar nicht.
Darauf, ob der Händler bei individuellem Kundenwunsch schon mit der Fertigung / Anpassung der Ware begonnen hat, kommt es nach Ansicht des EuGH jedoch überhaupt nicht an:
„Was im Übrigen die Ziele der Richtlinie 2011/83 betrifft, so ergibt sich insbesondere aus ihren Erwägungsgründen 7 und 40, dass mit ihr die Rechtssicherheit von Geschäften zwischen Unternehmern und Verbrauchern erhöht werden soll. Die in Rn. 24 des vorliegenden Urteils angeführte Auslegung von Art. 16 Buchst. c der Richtlinie 2011/83 trägt dazu bei, dieses Ziel zu erreichen, da damit Situationen vermieden werden, in denen das Bestehen oder der Ausschluss des Widerrufsrechts des Verbrauchers davon abhängen würde, wie weit die Vertragserfüllung durch den Unternehmer fortgeschritten ist; über diesen Fortschritt wird der Verbraucher üblicherweise nicht informiert, und er hat daher erst recht keinen Einfluss darauf. Nach alledem ist auf die gestellte Frage zu antworten, dass Art. 16 Buchst. c der Richtlinie 2011/83 dahin auszulegen ist, dass die Ausnahme vom dort geregelten Widerrufsrecht einem Verbraucher, der außerhalb von Geschäftsräumen einen Kaufvertrag über eine Ware geschlossen hat, die nach seinen Spezifikationen herzustellen ist, unabhängig davon entgegengehalten werden kann, ob der Unternehmer mit deren Herstellung begonnen hat oder nicht.“
Der EuGH kommt wohl primär aus Gründen der Rechtssicherheit zu dem Ergebnis, dass das Widerrufsrecht bei einem Vertrag über nach individueller Kundenspezifikation zu fertigenden Waren auch dann ausgeschlossen ist, wenn der Händler mit der Produktion dieser Waren noch gar nicht begonnen habe. Andernfalls würde in der Praxis wohl darüber gestritten, ob mit der Produktion bereits begonnen wurde oder nicht.
Ein Umstand, auf den der Verbraucher keinen Einfluss hat und der für diesen auch nicht ohne weiteres nachvollziehbar ist.
Fazit
Geht es um Waren, die nach individueller Kundenspezifikation gefertigt werden sollen, ist das gesetzliche Widerrufsrecht ausgeschlossen. Dies gilt auch dann, wenn der Händler noch gar nicht losgelegt hat, die Waren also noch gar nicht hergestellt bzw. angepasst worden sind.
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