Lebensmittel oder Arzneimittel?
Unterliegt ein Präparat den lebensmittelrechtlichen oder den strengeren arzneimittelrechtlichen Vorgaben? Welche speziellen Vorschriften gelten für die Produktion, Kennzeichnung und Bewerbung eines Präparats oder Stoffes? Die Beantwortung dieser Fragen hängt davon ab, ob das Präparat aus rechtlicher Sicht ein Arzneimittel oder ein Lebensmittel ist. Die IT-Recht Kanzlei gibt einen Überblick über die beiden Begriffsdefinitionen und schildert einschlägige Fallbeispiele aus der Rechtsprechung.
Inhaltsverzeichnis
I. Arzneimittel oder Lebensmittel – warum ist das wichtig?
Die Herstellung, die Kennzeichnung, die Bewerbung, der Vertrieb und weitere Umstände unterliegen bei Arzneimitteln anderen rechtlichen Anforderungen als bei Lebensmitteln. Jedoch nicht immer ist leicht feststellbar, ob es sich bei einem Stoff oder Präparat um ein Arzneimittel oder ein Lebensmittel handelt.
Wichtig ist dies auch im Hinblick auf die Notwendigkeit der gesetzlichen Zulassung eines Arzneimittels, so dass es überhaupt vertrieben werden darf.
II. Der Begriff des Arzneimittels
Die rechtliche Definition für Arzneimittel (oder synonym auch: Medikamente) geht auf die EG-Richtlinien 2001/82/EG und 2001/83/EG und somit auf EU-Recht zurück.
Im deutschen Recht ist in § 2 des Arzneimittelgesetzes (kurz: AMG) bestimmt, was unter den Begriff des Arzneimittels zu fassen ist.
1. Die gesetzliche Definition aus § 2 Absatz 1 AMG
Arzneimittel sind demnach Stoffe und Zubereitungen von Stoffen,
1. die zur Anwendung im oder am menschlichen oder tierischen Körper bestimmt sind und als Mittel mit Eigenschaften zur Heilung oder Linderung oder zur Verhütung menschlicher oder tierischer Krankheiten oder krankhafter Beschwerden bestimmt sind oder
2. die im oder am menschlichen oder tierischen Körper angewendet oder einem Menschen oder einem Tier verabreicht werden können, um entweder
- die physiologischen Funktionen durch eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen oder
- eine medizinische Diagnose zu erstellen
2. Mittel und Stoffe, die als Arzneimittel gelten
Neben der gesetzlichen Definition in § 2 Absatz 1 AMG sieht das Arzneimittelgesetz in § 2 Absatz 2 AMG Mittel und Stoffe vor, die rechtlich als Arzneimittel gelten, obwohl sie ggf. nicht von der eigentlichen Definition erfasst werden.
Darunter fallen demnach vor allem:
- Gegenstände, die ein Arzneimittel im Sinne der Definition enthalten oder auf die ein Arzneimittel aufgebracht ist und die dazu bestimmt sind, dauernd oder vorübergehend mit dem menschlichen oder tierischen Körper in Berührung gebracht zu werden
- bestimmte tierärztliche Instrumente
- Verbandsstoffe und chirurgische Nahtmaterialien zur Anwendung bei Tieren
3. Keine Arzneimittel
- Lebensmittel im Sinne des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuchs (kurz: LFGB; siehe dazu gleich weiter unten)
- kosmetische Mittel
- Tabakerzeugnisse
- die meisten Stoffe und Stoffzubereitungen, die ausschließlich dazu bestimmt sind, äußerlich am Tier zur Reinigung oder Pflege oder zur Beeinflussung des Aussehens und des Körpergeruchs angewendet zu werden.
- Biozid-Produkte
- Futtermittel
- Medizinprodukte und Zubehör für Medizinprodukte
- Organe im Sinne des Transplantationsgesetzes, wenn sie zur Übertragung auf menschliche Empfänger bestimmt sind
Die Präparate und Stoffe der obigen Aufzählung werden eigenständig definiert und unterfallen nicht den Bestimmungen des Arzneimittelgesetzes. Stattdessen gelten ggf. in den entsprechenden Gesetzen besondere Vorgaben und Pflichten.
4. Die Unterscheidung zwischen Präsentations- und Funktionsarzneimitteln
Für das Verständnis vieler Abgrenzungsversuche zwischen Arzneimitteln und Lebensmitteln ist es wichtig, eine weitere Unterscheidung bei Arzneimitteln zu kennen. So werden sog. Präsentationsarzneimittel von Funktionsarzneimitteln unterscheiden.
- Präsentationsarzneimittel (oder auch „Arzneimittel nach der Bezeichnung“) sind solche Mittel, die – aufgrund der Kennzeichnung, Werbung etc. – für einen bestimmten Zweck stehen, losgelöst davon, ob sie tatsächlich wirksam sind. Mit anderen Worten sind Präsentationsarzneimittel solche Mittel, die generell so aussehen und aufgemacht sind, als seien sie tatsächlich Arzneimittel.
- Dagegen sind Funktionsarzneimittel (oder auch „Arzneimittel nach der Funktion“) solche Mittel, bei denen eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung im behandelten menschlichen oder tierischen Organismus existiert. Wenn somit ein Stoff wie ein Arzneimittel wirkt, dann ist er auch eines, selbst wenn er nicht als solches bezeichnet, gekennzeichnet oder beworben wird.
III. Die Definition von Lebensmitteln
Die rechtlichen Anforderungen an und um Lebensmittel werden im Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände und Futtermittelgesetzbuch (kurz: LFGB) genauer geregelt. Eine Definition des Begriffs des Lebensmittels wird in Artikel 2 der EG-Verordnung Nr. 178/2002 zur Festlegung der allgemeinen Grundsätze und Anforderungen des Lebensmittelrechts, zur Errichtung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit und zur Festlegung von Verfahren zur Lebensmittelsicherheit (Kurztitel: Lebensmittelbasisverordnung), auf den § 2 Absatz 2 LFGB verweist.
1. Lebensmittel
Gemäß Artikel 2 der Lebensmittelbasisverordnung werden Lebensmittel wie folgt definiert:
Lebensmittel sind alle Stoffe oder Erzeugnisse, die dazu bestimmt sind oder von denen nach vernünftigem Ermessen erwartet werden kann, dass sie in verarbeitetem, teilweise verarbeitetem und unverarbeitetem Zustand von Menschen aufgenommen werden.
Zu den Lebensmitteln zählen auch:
- Getränke
- Kaugummi
- sowie alle Stoffe (inklusive Wasser), die dem Lebensmittel bei seiner Herstellung oder Ver- oder Bearbeitung absichtlich zugesetzt werden.
2. Keine Lebensmittel
Nicht von dem Begriff der Lebensmittel erfasst werden die folgende Stoffe und Mittel:
- Futtermittel
- Lebende Tiere, soweit sie nicht für das Inverkehrbringen zum menschlichen Verzehr hergerichtet worden sind
- Pflanzen vor dem Ernten
- Arzneimittel
- Kosmetische Mittel
- Tabak und Tabakerzeugnisse
- Betäubungsmittel und psychotrope Stoffe
- Rückstände und Kontaminanten
Insbesondere Arzneimittel zählen somit definitionsgemäß nicht zu den Lebensmitteln.
Allerdings hält das Arzneimittelrecht in § 2 Absatz 3a AMG eine Zweifelsregelung parat, wonach in Zweifelsfällen auch auf Lebensmittel die strengeren arzneimittelrechtlichen Vorschriften anzuwenden sind. Kann somit nicht vollkommen zweifelsfrei geklärt werden, ob ein Stoff oder ein Präparat, das unter die Definition des Lebensmittels fällt, tatsächlich ein Arzneimittel ist, so sind neben den lebensmittelrechtlichen Vorschriften zumindest auch die arzneimittelrechtlichen anzuwenden.
Hintergrund der Regelung ist, dass die Vorschriften des Arzneimittelrechts wegen der höheren (gesundheitlichen) Gefahr, die von Arzneimitteln für die Bevölkerung ausgeht, strenger sind als diejenigen des (reinen) Lebensmittelrechts. Der europäische Gesetzgeber plädiert daher in Zweifelsfällen lieber für zu viel als zu wenig Gesundheitsschutz.
IV. Beispiele aus der Rechtsprechung
Im Folgenden einige Beispiele der Einordnung als Arzneimittel oder Lebensmittel aus der Rechtsprechung.
- Dabei gilt als Faustformel: ein Erzeugnis, das einen Stoff enthält, der auch über die normale Nahrung aufgenommen werden kann, wird nicht als Arzneimittel, sondern als Lebensmittel angesehen, wenn durch das Erzeugnis keine gegenüber den Wirkungen bei normaler Nahrungsaufnahme nennenswerte Einflussnahme auf den Stoffwechsel erzielt wird (so BGH, Urteil vom 26.6.2008, Az. I ZR 61/05 im Anschluss an die Entscheidung des EuGH vom 15.11.2007, Az. C-319/05).
- Ein Arzneimittel dagegen liegt nur vor, wenn wissenschaftlich belegbare nennenswerte Auswirkungen auf den Stoffwechsel vorliegen (BVerwG, Urteil vom 25.7.2007, Az. 3 C 23/06).
1. Beispiele für Arzneimittel
- Ginkgo-Extrakt, auch wenn der erst ab einer bestimmten Menge eine arzneimitteltypische pharmakologische Wirkung hat (BGH, Urteil vom 1.7.2010, Az. I ZR 19/08)
- Dopingmittel wie Steroide oder Anabolika sowie diese in ihrer Wirkung gleichstehende Präparate, da bei ihnen die Bestimmung überwiegt, zu anderen Zwecken als zur Ernährung oder zum Genuss verzehrt zu werden (BGH, Urteil vom 11.7.2002, Az. I ZR 34/01)
- „Kräutermischungen“ (wie zerkleinerte und getrocknete Pflanzenbestandteile), die mit Zusätzen synthetisch hergestellter Cannabinoide versehen sind, wenn viele Konsumente sie erwerben, um halluzinogene Wirkungen zu erzielen (OLG Nürnberg, Urteil vom 10.12.2012, Az. 1 St OLG Ss 246/12)
- Nahrungsergänzungsmittel sind als Arzneimittel und nicht als Lebensmittel anzusehen, wenn sie in der Art gekennzeichnet sind oder beworben werden, dass sie bestimmte Krankheiten oder Krankheitssymptome beheben (Urteil vom 18.12.2007, Az. 5 U 119/04)
- Ein wässriges Extrakt aus Zimt, das aufgrund des darin enthaltenen Wirkstoffs MHCP laut Herstellerangaben den Insulinstoffwechsel des Körpers dahingehend beeinflussen soll, dass der Blutzuckerspiegel gesenkt und somit die Diabetes gelindert wird, obwohl Zimt und Gewürze in ihrer Grundform als Lebensmittel anzusehen sind, da keine lebensmitteltypische Zweckbestimmung als Gewürz oder Geschmacksträger oder als Mittel der Ernährung mehr vorliegt (OLG Hamm, Urteil vom 7.8.2007, Az. 4 U 194/06)
2. Beispiele für Lebensmittel
- Zimtkapseln, wenn sie eine Menge an Zimt enthalten, die auch über die normale Nahrung aufgenommen werden kann, selbst wenn die empfohlene Häufigkeit nicht den üblichen Ernährungsgewohnheiten entspricht (BGH, Urteil vom 14.1.2010, Az. I ZR 138/07 und I ZR 67/07)
- Knoblauchkapseln (BGH, Urteil vom 26.6.2008, Az. I ZR 61/05)
- Honigwein, da er allgemein als „normales Lebensmittel“ angesehen wird (BGH, Urteil vom 13.5.2004, I ZR 261/01)
- L-Glutamin-Kapseln und sog. BCAA-Drops, beides ist Sportlernahrung zum Muskelaufbau und zur Muskelvergrößerung (BGH, Urteil vom 3.4.2003, Az. I ZR 203/00)
- Nahrungsergänzungsmittel sind generell dann Lebensmittel und keine Arzneimittel, wenn objektive Angaben für die arzneiliche Wirkung des Produkts und die entsprechende Zweckbestimmung aus Verbrauchersicht (etwa mangels entsprechender Angaben auf der Packung) fehlen (OLG Frankfurt Urteil vom 2.2.2009, Az. 6 W 179/08)
- Kapseln, die im Wesentlichen aus dem Enzym Laktase bestehen und zur Überwindung von Laktose-(Milzucker-)Intoleranz beim Verzehr laktosehaltiger Speisen eingenommen oder zuvor in diese eingebracht werden soll, sind keine Arzneimittel, da nicht die physiologische Funktion des Körpers (Verdauung) beeinflusst wird, sondern der Zustand der zu verdauenden Nahrung (OLG Stuttgart, Urteil vom 14.2.2008, Az. 2 U 81/07)
V. Fazit
Die Abgrenzung von Arzneimitteln und Lebensmitteln ist nicht immer klar und eindeutig möglich. Schwierigkeiten bereitet bei der rechtlichen Einordnung zudem, dass die Begriffe auf EU-Recht zurückgehen und damit letztendlich der EuGH die Auslegungshoheit über die Begriffe hat. Ganz besondere Probleme bei der Abgrenzung machen solche Präparate, die zwar in geringen, gewöhnlichen Dosen keine pharmakologischen Wirkungen entfalten, jedoch in hochdosierter Form.
Die Rechtsprechung hat zwar bereits Kriterien aufgestellt, doch bleiben Restunsicherheiten. Im Zweifel jedoch sind (auch) die arzneimittelrechtlichen Vorschriften auf einen Stoff anzuwenden, der vielleicht ein Lebensmittel ist (§ 2 Absatz 3a AMG) .
Bei Problemen und weiteren Fragen zum Thema Abgrenzung von Arzneimitteln und Lebensmitteln hilft Ihnen das Team der IT-Recht Kanzlei selbstverständlich gerne weiter.
Tipp: Sie haben Fragen zu dem Beitrag? Diskutieren Sie hierzu gerne mit uns in der Unternehmergruppe der IT-Recht Kanzlei auf Facebook.
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