Alternative Streitbeilegung: Ist die OS-Plattform bald Geschichte?
Online-Händler mit Sitz in der EU sind seit dem 09.01.2016 verpflichtet, Verbraucher mittels eines direkt anklickbaren Links auf die Möglichkeit einer außergerichtlichen Streitbeilegung über die so genannte OS-Plattform der EU-Kommission hinzuweisen. Da die OS-Plattform nach einem aktuellen Bericht der EU-Kommission bei den Verbrauchern jedoch nicht auf die erhoffte Resonanz stößt, schlägt die EU-Kommission nunmehr neue Maßnahmen vor, die die außergerichtliche Streitbeilegung vereinfachen und die Verbraucherrechte stärken sollen.
Inhaltsverzeichnis
- I. Rechtlicher Hintergrund
- 1) ODR-Verordnung
- 2) ADR-Richtline
- II. Mangelnde Resonanz bzgl. bisheriger alternativer Streitbeilegungsmöglichkeiten
- III. Geplante Maßnahmen der EU-Kommission
- 1) Ausweitung des Anwendungsbereichs der Richtlinie
- 2) Anreize für die Teilnahme von Unternehmen
- 3) Verbesserte Hilfestellung für Verbraucher
- IV. Weiterer Verlauf
I. Rechtlicher Hintergrund
1) ODR-Verordnung
Die am 09.01.2016 in Kraft getretene ODR-Verordnung sieht unter anderem vor, dass Online-Händler auf die "Online-Streitschlichtungsplattform" der EU-Kommission (kurz „OS-Plattform“) zu verlinken haben, wobei dieser Link für den Verbraucher „leicht zugänglich“ sein muss.
Eine Anleitung zur technischen Umsetzung der vorgenannten Informationspflicht stellen wir in diesem Beitrag bereit.
2) ADR-Richtline
Neben der ODR-Verordnung existiert parallel die sog. ADR-Richtlinie, durch welche die Mitgliedstaaten der EU verpflichtet werden, nationale Regelungen zu schaffen, damit Streitigkeiten zwischen Verbrauchern und Unternehmern im Rahmen einer außergerichtlichen Streitbeilegung beigelegt werden können.
Die ADR-Richtlinie wurde in Deutschland durch das „Gesetz über die alternative Streitbeilegung in Verbrauchersachen“ – kurz "VSBG" – in deutsches Recht umgesetzt, welches bereits zum 01.04.2016 in weiten Teilen in Kraft trat.
Die am 01.02.2017 in Kraft getretenen §§ 36 und 37 VSBG regeln weitere Informationspflichten in Bezug auf die Bereitschaft bzw. Verpflichtung zur Teilnahme an Streitbeilegungsverfahren vor einer Verbraucherschlichtungsstelle.
Nähere Informationen zu Inhalt und Umsetzung der vorgenannten Informationspflichten stellen wir in diesem Beitrag bereit.
II. Mangelnde Resonanz bzgl. bisheriger alternativer Streitbeilegungsmöglichkeiten
Unter alternativer Streitbeilegung (ADR) ist die außergerichtliche Schlichtung eines Streits mit Unterstützung einer unparteiischen Streitbeilegungsstelle zu verstehen. Verbraucherrechtsstreitigkeiten können auf diese Weise einfacher, schneller und kostengünstiger beigelegt werden als vor Gericht.
Geläufige Arten alternativer Streitbeilegung sind insbesondere
- Mediation
- Schlichtungsverfahren
- Einschaltung von Bürgerbeauftragten
- Schiedsverfahren
- Verfahren vor Beschwerdekammern
Gemäß Artikel 26 der ADR-Richtlinie und Artikel 21 Absatz 2 der ODR-Verordnung veröffentlicht die Kommission regelmäßig einen gemeinsamen Bericht über die Anwendung von ADR/ODR, in dem die Entwicklung und der Einsatz von ADR-Stellen sowie die Auswirkungen von ADR und ODR auf Verbraucher und Händler beleuchtet werden. Dieser Bericht stützt sich auf die ADR-Berichte der Mitgliedstaaten, die der Kommission alle vier Jahre von den zuständigen ADR-Behörden vorgelegt werden, sowie auf andere Maßnahmen zur Datenerhebung (Workshops, öffentliche Konsultationen, Studien usw.).
Laut Bericht der EU-Kommission aus dem Jahr 2019 wurde die OS-Plattform seinerzeit von 8,5 Millionen Menschen besucht. Allerdings sind die eingereichten Streitfälle mit einer Zahl von 120.000 Vorgängen vergleichsweise gering. Von diesen wurden wiederum nur rund zwei Prozent an eine nationale Schlichtungsstelle zur Bearbeitung weitergereicht. Fehlendes Bewusstsein und eine allgemeine Zurückhaltung der Händler seien die Hauptursachen für die mangelnde Resonanz.
Nach dem Verbraucherbarometer 2023 berichtete ein Viertel der Verbraucher von einem Problem, welches eine Beschwerde gerechtfertigt hätte, doch unternahm ein Drittel von ihnen nichts und begründete dies mit langwierigen Verfahren, geringem Streitwert oder geringem Vertrauen in eine zufriedenstellende Lösung. Aus diesem Grund werden in der EU jährlich nur 300.000 Streitfälle im Rahmen der Richtlinie bearbeitet.
III. Geplante Maßnahmen der EU-Kommission
Am 17.10.2023 nahm die EU-Kommission einen Vorschlag zur Überarbeitung des Rahmens für alternative Streitbeilegung (ADR-Rahmen) an, und zwar durch:
- einen Legislativvorschlag zur Änderung der geltenden ADR-Richtlinie
- einen Legislativvorschlag zur Aufhebung der Verordnung über die Online-Streitbeilegung (ODR-Verordnung)
- eine Empfehlung für Online-Marktplätze und Wirtschaftsverbände in der EU mit Streitbeilegungssystem sowie für die Mitgliedstaaten
Konkret sieht der Vorschlag insbesondere folgende Maßnahmen vor:
1) Ausweitung des Anwendungsbereichs der Richtlinie
Derzeit gilt die ADR-Richtlinie nur für Streitigkeiten aus Vertragsverpflichtungen zwischen Verbrauchern mit Wohnsitz in der EU und Händlern mit Sitz in der EU. Die Richtlinie soll in ihrem Anwendungsbereich auf alle Aspekte des EU-Verbraucherrechts ausgeweitet werden und auch für Händler außerhalb der EU von Belang sein, indem sie künftig auch unlautere Praktiken wie irreführende Preisangaben, diskriminierende Vorgehensweisen, Probleme beim Anbieterwechsel oder unterlassene vorvertragliche Mitteilungspflichten berücksichtigt. Künftig soll gegen derartige Praktiken, die derzeit nicht in den Anwendungsbereich der ADR-Richtlinie fallen, im Rahmen der alternativen Streitbeilegung vorgegangen werden können.
2) Anreize für die Teilnahme von Unternehmen
Zwar soll es den Unternehmen auch weiterhin freistehen, an alternativen Streitbeilegungsverfahren teilzunehmen oder nicht, es sei denn, spezielle EU- oder nationale Vorschriften schreiben die Teilnahme an der außergerichtlichen Streitbeilegung vor. Wird eine alternative Streitbeilegung allerdings von einem Verbraucher beantragt, soll das betreffende Unternehmen innerhalb von 20 Arbeitstagen antworten müssen. Hierdurch soll das gesamte Verfahren beschleunigt und die Händler sollen ermutigt werden, an dem Verfahren teilzunehmen. Darüber hinaus sollen die Informationspflichten für Händler reduziert werden. Für Online-Marktplätze und EU-Wirtschaftsverbände sollen Anreize geschaffen werden, ihre Streitbeilegungssysteme an die Qualitätsanforderungen der ADR-Richtlinie anzupassen.
3) Verbesserte Hilfestellung für Verbraucher
Die Online-Streitbeilegungsplattform soll eingestellt und durch benutzerfreundliche digitale Tools ersetzt werden, die Verbrauchern ein geeignetes Rechtsschutzinstrument bieten. Verbraucher sollen bei der Einleitung eines Verfahrens maßgeschneiderte Hilfe erhalten, die von Übersetzungen über Erläuterungen zu Verfahren und Gebühren bis hin zu physischen Unterlagen reicht. Die Mitgliedstaaten sollen Kontaktstellen benennen, die die Kommunikation zwischen Verbrauchern und Händlern erleichtern, bei diesem Prozess Hilfestellung leisten und allgemeine Informationen über Verbraucherrechte und Rechtsbehelfe in der EU erteilen.
Die EU-Kommission stellt hier eine übersichtliche Gegenüberstellung zwischen aktueller Rechtslage und den vorgeschlagenen Änderungen bereit.
IV. Weiterer Verlauf
Der Kommissionsvorschlag muss noch vom Europäischen Parlament und vom Rat verabschiedet werden. Über die konkrete Ausgestaltung der alternativen Streitbeilegung auf nationaler Ebene werden die Mitgliedstaaten auch weiterhin frei entscheiden können. Dabei müssen sie aber die vollständige Erfassung von Streitigkeiten mit Verbraucherschutzbezug sicherstellen. Dies würde somit auch zu einer Gesetzesänderung auf nationaler Ebene führen.
Ob und ggf. mit welchem Inhalt der Vorschlag der EU-Kommission letztlich verabschiedet und von den EU-Mitgliedstaaten umgesetzt wird, bleibt abzuwarten. Angesichts des geringen Interesses der Marktteilnehmer an den bisherigen Möglichkeiten der alternativen Streitbeilegung und insbesondere an der Nutzung der OS-Plattform, scheint eine Reform in diesem Bereich überfällig zu sein. Wir werden die Entwicklung weiter beobachten.
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