Haften Händler für AGG-Verstöße auf Marktplätzen?
Kürzlich wurde entschieden, dass die Beschränkung der Anredemöglichkeiten im Bestellportal eines Unternehmens auf „Herr“ und „Frau“ eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts von Personen einer nicht-binären Geschlechtsidentität darstellt. Was gilt nun für Bestellungen bei Online-Marktplätzen wie eBay oder Amazon?
1) Hintergrund
In dem der o. a. Entscheidung des OLG Frankfurt a.M. zugrundeliegenden Fall wurde eine Person mit einer nicht- binären Geschlechtsidentität in ihrem Recht auf Gleichbehandlung verletzt, weil sie im Online-Bestellportal der Beklagten ausschließlich zwischen den Anreden „Frau“ und „Herr“ auswählen konnte. Hierzu hatte bereits das Landgericht Frankfurt a.M. vorinstanzlich entschieden, dass der Klägerin gegen die Beklagte ein Anspruch auf Unterlassung gemäß §§ 21 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. 19, 3 und 1 AGG zusteht, da die zwingende Auswahl einer Anrede als Frau oder Herr im Zusammenhang mit dem Online-Kauf eine Benachteiligung im Sinne des AGG darstelle.
2) Zahlreiche Shopsysteme unzureichend
Eingabemasken in Online-Shops, die in der Anrede nur nach „Herr“ oder „Frau“ unterscheiden, verletzen Menschen mit nicht-binärer Geschlechtsidentität nach der o. a. Gerichtsentscheidung in ihrem Persönlichkeitsrecht. Nach unserer Kenntnis stellt dies in der Praxis derzeit aber noch den Standardfall dar, mit der Folge, dass derzeit zahlreiche Online-Händler gegen das AGG verstoßen dürften.
3) Situation bei Online-Marktplätzen
Doch wie stellt sich die Situation bei Online-Marktplätzen wie eBay oder Amazon dar?
a) Infrastruktur des Betreibers
Anders als der Online-Shop wird der Marktplatz in der Regel nicht von dem einzelnen Händler, sondern von einem anderen Unternehmen (Betreiber) betrieben. Der Händler nutzt insoweit also lediglich die vom Betreiber bereitgestellte technische Infrastruktur für die Abwicklung seiner Verträge. Dementsprechend hat der Händler zumeist keinen unmittelbaren Einfluss auf die technische Infrastruktur. Auf der anderen Seite nutzt der Händler die vorgegebene Infrastruktur aber für seine eigenen Zwecke und macht sich diese damit ggf. auch zu eigen.
b) Situation bei Registrierung
Zusätzlich ist zu berücksichtigen, dass zahlreiche Online-Marktplätze nur genutzt werden können, wenn man sich zuvor hierfür registriert hat. Personenbezogene Daten, die auf ein bestimmtes Geschlecht schließen lassen, werden in solchen Fällen daher in der Regel bereits bei der erstmaligen Registrierung des Nutzers erhoben. Eine geschlechtsbezogene Benachteiligung könnte daher bereits in diesem Stadium erfolgen. In diesem Stadium ist der Händler aber noch gar nicht in Erscheinung getreten, da die Registrierung nicht vom Händler, sondern vom Betreiber des Marktplatzes vorgenommen wird. Somit könnte in dieser Situation zwar eine Ungleichbehandlung durch den Betreiber, nicht aber durch den Händler erfolgen.
c) Situation bei Gastbestellungen
Etwas anderes könnte sich aber ergeben, wenn auf dem betreffenden Online-Marktplatz auch Gastbestellungen, also Bestellungen ohne vorherige Registrierung, möglich sind. Dann kommt es darauf an, wie sich der Bestellprozess im konkreten Einzelfall gestaltet.
Werden die maßgeblichen Daten nach den konkreten Umständen des Einzelfalls und aus Sicht eines objektiven Empfängers vom Händler erhoben, dann muss dieser sich ein unzureichend gestaltetes Bestellformular wie eigenes Fehlverhalten zurechnen lassen, auch wenn ihm das Formular vom Betreiber vorgegeben wird.
Werden die maßgeblichen Daten nach den konkreten Umständen des Einzelfalls und aus Sicht eines objektiven Empfängers dagegen nicht vom Händler, sondern vom Betreiber erhoben, um sie anschließend ggf. an den betreffenden Händler zu übermitteln, dann muss der Händler nicht für ein ggf. unzureichend gestaltetes Bestellformular einstehen.
Entsprechendes gilt für den Fall, dass die maßgeblichen Daten nach einer Registrierung bei jeder Bestellung erneut erhoben werden.
4) Rechtsfolgen
Bei einem Verstoß gegen das AGG stehen dem Benachteiligten ggf. Ansprüche auf Beseitigung, Unterlassung, Schadensersatz oder Entschädigung gegen den Benachteiligenden zu.
Soweit sich der Anspruch des Benachteiligten aus den o. g. Gründen gegen den Händler richtet und auf Zahlung eines Geldbetrages gerichtet ist, kann der Händler den Betreiber ggf. in Regress nehmen, wenn der Betreiber seine Pflichten aus dem mit dem Händler geschlossenen Nutzungsvertrag schuldhaft verletzt hat. Zu diesen Pflichten gehört grundsätzlich auch die Bereitstellung einer technischen Infrastruktur, die es dem Händler ermöglicht, seine gesetzlichen Pflichten rechtskonform umzusetzen.
Stellt der Betreiber dem Händler für die Abwicklung der über den Online-Marktplatz geschlossenen Verträge ein Bestellformular zur Verfügung, welches aus den o. g. Gründen gegen das AGG verstößt und welches nach den Umständen des Einzelfalls aus Sicht eines objektiven Empfängers dem Händler zuzurechnen ist, so kann hierin durchaus eine schuldhafte Pflichtverletzung des Betreibers gesehen werden, mit der Folge, dass dieser dem Händler einen etwaigen materiellen Schaden ersetzen muss.
5) Praxistipp
Wenn der Händler in dem vom Betreiber bereitgestellten Bestellformular entsprechende Mängel feststellt, die bei ihm ggf. zu einem Schadenseintritt führen könnten, sollte er den Betreiber ausdrücklich hierauf hinweisen und um unverzügliche Abhilfe ersuchen, etwa indem das Formular um die Anrede „divers“ erweitert oder auf eine geschlechtsbezogene Anrede vollständig verzichtet wird.
Spätestens dann hätte der Betreiber nämlich Kenntnis von dem Mangel, was dem Händler für den Fall der Fälle einen Verschuldensnachweis erleichtern würde.
6) Muster
Ein Schreiben an den Betreiber, in dem auf einen Verstoß gegen das AGG hingewiesen und um unverzügliche Abhilfe ersucht wird, könnte etwa folgenden Wortlaut haben:
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