Urteil vom OLG München 29. Zivilsenat
Entscheidungsdatum: 02.08.2012
Aktenzeichen: 29 U 1471/12
Tenor
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 1. März 2012 wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
III. Dieses Urteil und das Urteil des Landgerichts sind vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung aus Ziffer I. des landgerichtlichen Urteils durch Sicherheitsleistung in Höhe von 30.000,-- € abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet. Im Übrigen kann die Beklagte die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 115 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 115 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Gründe
A.
Der Kläger, der Verband Sozialer Wettbewerb e. V., hat als Mitglieder unter anderem die Ärztekammern Hamburg und Schleswig-Holstein.
Die Beklagte betreibt unter der Bezeichnung Q. einen werbebasierten Internetauftritt, bei dem Interessierte medizinische Fragen stellen können, die von Fachärzten beantwortet werden. Wegen der Einzelheiten der Fragen und Antworten wird auf die Anlagen K 4 bis K 20 Bezug genommen.
Die Beklagte stellt dieses Angebot im Internet unter anderem wie folgt dar (vgl. Anl. K 1):
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Der Kläger hat darin eine unlautere Werbemaßnahme gesehen und die Beklagte nach erfolgloser Abmahnung auf Unterlassung und den Ersatz einer Abmahnkostenpauschale in Anspruch genommen. Er hat sein Unterlassungsbegehren – in dieser Reihenfolge – auf § 9 HWG, § 7 Abs. 3 und § 12 Berufsordnung für die Ärzte Bayerns sowie § 7 HWG gestützt.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Diese sei unzulässig, weil dem Kläger die Prozessführungsbefugnis fehle und der Klageantrag unbestimmt sei. Bei den Foren von Q. handele es sich nicht um geschäftliche Handlungen, sondern um rein redaktionelle Inhalte. Sie erfüllten auch nicht den Tatbestand des § 9 HWG.
Mit Urteil vom 1. März 2012, auf dessen tatsächliche Feststellungen ergänzend Bezug genommen wird, hat das Landgericht die Beklagte antragsgemäß verurteilt,
I. es bei Meidung näher bezeichneter Ordnungsmittel zu unterlassen,
im geschäftlichen Verkehr mit der Ankündigung medizinischer Auskünfte im Wege einer Beratung im Internet, wie aus Anlage K 1 ersichtlich, zu werben, sofern Fragen beantwortet werden, die Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder krankhafte Beschwerden der Anfragenden oder eines Dritten zum Gegenstand haben, wie in der Werbung gemäß Anlagen K 4 bis K 20 wiedergegeben;
II. an den Kläger 166,60 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 20. Oktober 2011 zu zahlen.
Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung. Sie wiederholt und vertieft ihr Vorbringen aus dem ersten Rechtszug und beantragt,
das landgerichtliche Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger verteidigt das angegriffene Urteil und beantragt,
die Berufung zurückzuweisen,
hilfsweise die Beklagte zu verurteilen, es bei Meidung näher bezeichneter Ordnungsmittel zu unterlassen,
im geschäftlichen Verkehr kostenlos medizinische Auskünfte im Wege einer Beratung im Internet, wie aus Anlage K 1 ersichtlich, anzukündigen und/oder ankündigen zu lassen, sofern von ihr Fragen beantwortet werden, die Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder krankhafte Beschwerden der Anfragenden oder eines Dritten zum Gegenstand haben, wie in der Werbung gemäß Anlagen K 4 bis K 20 wiedergegeben
Im Übrigen wird auf die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 2. August 2012 Bezug genommen.
B.
Die zulässige Berufung ist unbegründet.
I. Die Klage ist zulässig.
1. Insbesondere ist der Klageantrag hinreichend bestimmt i. S. d. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.
Nach dieser Vorschrift darf ein Unterlassungsantrag – und nach § 313 Abs. 1 Nr. 4 ZPO eine darauf beruhende Verurteilung – nicht derart undeutlich gefasst sein, dass der Streitgegenstand und der Umfang der Prüfungs- und Entscheidungsbefugnis des Gerichts nicht mehr klar umrissen sind, der Beklagte sich deshalb nicht erschöpfend verteidigen kann und im Ergebnis dem Vollstreckungsgericht die Entscheidung darüber überlassen bleibt, was dem Beklagten verboten ist (vgl. BGH, Urt. v. 18. Februar 2012 – I ZR 81/10 – Tribenuronmethyl, juris, Tz. 16, GRUR 2011, 1043 – TÜV II Tz. 36 m. w. N.). Die Bestimmtheit eines Unterlassungsantrags ist in der Regel gegeben, wenn der Kläger lediglich ein Verbot der konkret beanstandeten Handlung begehrt (vgl. BGH GRUR 2011, 82 – Preiswerbung ohne Umsatzsteuer Tz. 14 m. w. N.).
Im Streitfall ist der Unterlassungsantrag auf die konkrete Verletzungsform beschränkt. Er enthält zwar eine abstrakte Umschreibung (... mit der Ankündigung kostenloser medizinischer Auskünfte im Wege einer Beratung per Internet zu werben), wird aber durch einen Hinweis auf die konkret beanstandete Verletzungshandlung näher bestimmt (... wie aus Anlage K 1 ersichtlich); zudem wird die Art der Beratung durch eine abstrakte Beschreibung (sofern Fragen beantwortet werden, die Krankheiten. Leiden, Körperschäden oder krankhafte Beschwerden des Anfragenden oder eines Dritten zum Gegenstand haben) und durch eine Bezugnahme auf die Anlagen K 4 bis K 20 eingegrenzt. Anders als Antragsfassungen, welche die konkrete Verletzungsform nur als Beispiel heranziehen, wird hier durch die unmittelbare Bezugnahme auf die konkrete Gestaltung deutlich gemacht, dass Gegenstand des Antrags allein die konkrete Werbemaßnahme sein soll (vgl. BGH GRUR 2011, 742 – Leistungspakete im Preisvergleich Tz. 17 m. w. N.).
2. Der Kläger ist auch gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG klagebefugt. Jedenfalls die nicht bestrittene Mitgliedschaft der Ärztekammern Hamburg und Schleswig-Holstein führt dazu, dass der Kläger die Voraussetzungen des § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG erfüllt (vgl. BGH GRUR 2007, 610 – Sammelmitgliedschaft V Tz. 21 m. w. N.).
II. Dem Kläger steht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 2, § 3 Abs. 1, § 4 Nr. 11 UWG i. V. m. § 9 HWG zu. Es kann daher dahin stehen, ob die vom Kläger nachrangig geltend gemachten Vorschriften ebenfalls verletzt sind.
1. Die beanstandete Maßnahme ist eine geschäftliche Handlung i. S. d. § 2 Nr. 1 UWG.
Unter diesen Begriff fällt jedes Verhalten einer Person zugunsten des eigenen oder eines fremden Unternehmens, das mit der Förderung des Absatzes oder des Bezugs von Waren oder Dienstleistungen objektiv zusammenhängt.
Der geltend gemachte Unterlassungsanspruch betrifft entgegen den Ausführungen der Beklagten nicht ihr – von ihr als redaktionell angesehenes – Angebot an Äußerungen zu medizinischen Fragen gemäß den Anlagen K 4 bis K 20, sondern ihre Hinweise darauf gemäß Anlage K 1. Diese Hinweise dienen der Förderung der Inanspruchnahme des medizinischen Angebots der Beklagten. Fördert aber ein Medienunternehmen das Interesse an seinem eigenen Angebot, so liegt eine geschäftliche Handlung i. S. d. § 2 Nr. 1 UWG vor, ohne dass dem der redaktionelle Gehalt des beworbenen Angebots entgegenstünde (vgl. BGH GRUR 2000, 703 (706) – Mattscheibe; Köhler, a. a. O., § 2 UWG Rz. 69; Keller in: Harte/Henning, UWG, 2. Aufl. 2009, § 2 Rz. 86; Veil in: Münchener Kommentar Lauterkeitsrecht, 2006, § 2 UWG Rz. 73).
2. Der Internetinhalt gemäß Anlage K 1 wirbt für eine Fernbehandlung i. S. d. § 9 HWG und ist deshalb unzulässig.
a) Zu Recht und von der Beklagten nicht angegriffen hat das Landgericht eine Fernbehandlung dann angenommen, wenn der Behandelnde allein auf Grund der schriftlichen, fernmündlichen, über andere Medien oder durch Dritte auf Distanz vermittelten Informationen eine eigene Diagnose erstellt oder Behandlungsvorschläge unterbreitet. Wesentlich ist dabei, dass sich der Behandelnde ohne eigene Wahrnehmung der zu behandelnden Person konkret und individuell zu dieser Person diagnostisch oder therapeutisch äußert (vgl. Gröning, Heilmittelwerberecht, Stand Juni 2011, § 9 Rz. 10 f.).
b) Diese Voraussetzungen sind im Streitfall gegeben.
aa) Wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, enthalten sowohl die Beratung gemäß Anlage K 14 als auch diejenige gemäß Anlage K 18 individuelle Bezüge, die sie zu Fernbehandlungen machen.
In der Anlage K 14 schildert eine Ratsuchende unter Mitteilung von früheren Untersuchungsergebnissen ein taubes Gefühl an einer Zehe und fragt, ob es sich um Durchblutungsstörungen handeln könne. Die Antwort
Ist unwahrscheinlich, dass es sich um Durchblutungsstörungen handelt. Möglicherweise liegt einen neurologische Beschwerdeursache vor oder es handelt sich um eine muskulär-knöcherne Fehlhaltung mit daraus resultierender Nervenreizung im Bereich des Fußes
verlässt der Bereich allgemein gehaltener Ausführungen; sie stellt vielmehr eine auf die konkrete Person der Anfragenden bezogene Diagnose dar, die ohne eigene Wahrnehmung der zu behandelnden Person erstellt worden ist.
In der Anlage K 18 schildert ein Anfragender unter der Themenbezeichnung Schwere Erkältung seine Symptome und fragt, wie lange er das noch aushalten müsse. Diese Anfrage wird unter anderem wie folgt beantwortet:
... zusätzlich würde ich zum Lösen auch ACC, Sinupret und Soledum-Kapseln nehmen und Nasenspülungen machen. Gegen die Schmerzen kann auch ASS oder Paracetamol helfen, aber insgesamt müssen Sie sich wahrscheinlich noch eine Woche gedulden, bis es wieder gut wird.
Hier liegt ein auf die konkrete Person des Anfragenden bezogener Behandlungsvorschlag vor, der ebenfalls ohne eigene Wahrnehmung der zu behandelnden Person erstellt worden ist.
bb) Ob die weiteren Beratungen gemäß den Anlagen K 4 bis K 13, K 15 bis K 17 sowie K 19 und K 20 ebenfalls als Fernbehandlungen anzusehen sind, konnte das Landgericht offen lassen. Denn durch die kumulative Aufnahme dieser Anlagen in den Antrag und damit in den Urteilsausspruch wird die Reichweite des Verbots nicht vergrößert. Sie dient lediglich der zusätzlichen Beschreibung der konkreten Verletzungshandlung, wie sie sich aus der Gesamtheit der Anlagen K 1 und K 4 bis K 20 ergibt und die den alleinigen Gegenstand des geltend gemachten Unterlassungsanspruchs begründet.
cc) Im Streitfall kann offen bleiben, ob § 9 HWG in der Weise auszulegen ist, dass ein Werbeverbot nur bei einer positiv feststehenden unmittelbaren oder mittelbaren Gesundheitsgefährdung eingreift.
Zwar hat der Bundesgerichtshof sowohl § 11 Abs. 1 Nr. 10 HWG (vgl. dazu BGH GRUR 2004, 799 (800) – Lebertrankapseln) als auch § 11 Abs. 1 Nr. 4 HWG (vgl. dazu BGH GRUR 2007, 809 – Krankenhauswerbung Tz. 19) unter Berücksichtigung verfassungsrechtlicher Vorgaben dahin ausgelegt, dass die dort geregelten Werbeverbote nur dann eingreifen, wenn eine Werbemaßnahme zumindest zu einer mittelbaren Gesundheitsgefährdung führen kann. Eine solche Gefährdung ist gegeben, wenn eine Werbung die nicht nur als geringfügig einzustufende Gefahr begründet, dass ihre Adressaten glauben, sie könnten Leiden durch die Inanspruchnahme der beworbenen Leistung heilen, und daher von einem Arztbesuch absehen, den sie ohne die Werbung gemacht hätten und der zum noch rechtzeitigen Erkennen anderer, ernster Leiden geführt hätte (vgl. BGH, a. a. O., – Lebertrankapseln).
Ob an dieser Auslegung festzuhalten ist, nachdem der Gerichtshof der Europäischen Union nunmehr festgestellt hat, dass mit der Richtlinie 2001/83 eine vollständige Harmonisierung des Bereichs der Arzneimittelwerbung erfolgt ist (vgl. GRUR 2008, 267 – Gintec Tz. 39), kann im Streitfall ebenso offenbleiben wie die Frage, ob eine verfassungskonforme Auslegung im vollharmonisierten Bereich (allein) anhand des höherrangigen Unionsrechts, namentlich der europäischen Grundrechte, in Betracht kommt (vgl. BGH GRUR 2012, 647 – INJECTIO Tz. 39 f.). Denn vorliegend ist eine mittelbare Gesundheitsgefährdung im dargestellten Sinn gegeben. Die beanstandete Werbung mit dem Hinweis darauf, dass in den Expertenrat-Foren über achtzig Fachärzte den Angesprochenen kostenlos antworteten, ist begründet die nicht unerhebliche Gefahr, dass Ratsuchende sich entschließen, zumindest vorläufig nur das Angebot der Beklagten in Anspruch zu nehmen, und von einem sonst durchgeführten Arztbesuch abgehalten werden.
dd) Aus diesem Grund ist für den Streitfall auch ohne Belang, ob die Beratungen gemäß Anlage K 14 und K 18 redaktionelle Inhalte darstellen und deshalb in besonderer Weise den Schutz der Meinungs- und Pressefreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 GG genießen. Das Verbot richtet sich nicht gegen diese Inhalte selbst, sondern lediglich gegen deren Bewerbung durch die Anlage K 1, die sich wie jede Wirtschaftswerbung am Maßstab der allgemeinen Gesetze messen lassen muss.
Meinungs- und Pressefreiheit sind durch Art. 5 Abs. 1 GG nicht vorbehaltlos gewährt; sie finden vielmehr gemäß Art. 5 Abs. 2 GG ihre Schranken unter anderem in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, zu denen sowohl das Lauterkeitsrecht als auch das Heilmittelwerbegesetz zählen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 12. Juli 2007 – 1 BvR 99/03, – Dr. R‘s Vitaminprogramm, juris, dort Tz. 27 m. w. N.). Angesichts der mittelbaren Gesundheitsgefährdung, die von der beanstandeten Werbung ausgeht, besteht kein Vorrang des Interesses der Beklagten ihr Beratungsangebot in der beanstandeten Weise zu bewerben.
3. Die Vorschriften des Heilmittelwerbegesetzes sind dazu bestimmt, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln (vgl. BGH, a. a. O., – INJECTIO Tz. 10; Köhler, a. a. O., § 4 Tz. 11.134 a m. w. N.); ein Verstoß gegen sie stellt einen Rechtsbruch i. S. d. § 4 Nr. 11 UWG dar.
Da § 9 HWG dem Schutz der Gesundheit des Verbrauchers und der Volksgesundheit dient, ist die Verletzung der Bestimmung zudem geeignet, die Interessen der Verbraucher spürbar i. S. d. § 3 Abs. 1 UWG zu beeinträchtigen (vgl. BGH, a. a. O., – INJECTIO Tz. 42).
III. Die – von der Beklagten nicht gesondert angegriffene – Verurteilung zum Aufwendungsersatz ergibt sich aus § 12 Abs. 1 Satz 2 UWG. Der Zinsanspruch beruht auf § 286 Abs. 1 Satz 2, § 288 Abs. 1 BGB.
C.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.
Die Revision ist nicht zuzulassen. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO) und auch die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO liegen nicht vor. Die Rechtssache erfordert, wie die Ausführungen unter B. zeigen, lediglich die Anwendung gesicherter Rechtsprechungsgrundsätze auf den Einzelfall.
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