Brandenburg

Beschluss vom VG Frankfurt (Oder) 4. Kammer

Entscheidungsdatum: 14.10.2011
Aktenzeichen: 4 L 191/11

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.

Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragstellerin.

2. Der Streitwert wird auf 7.500,00 Euro festgesetzt.

Gründe

Der sinngemäße Antrag,

die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom xxx gegen den Bescheid des Antragsgegners vom xxx hinsichtlich der unter Ziffer 1. angeordneten Untersagung wiederherzustellen und hinsichtlich der unter Ziffer 3. verfügten Zwangsgeldandrohung anzuordnen

und hilfsweise

die unter Ziffer 2. des o.g. Bescheides angeordnete sofortige Vollziehung aufzuheben,

ist zwar zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg.

Nach § 80 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - haben Widerspruch und Anfechtungsklage grundsätzlich aufschiebende Wirkung. Diese entfällt allerdings u. a. dann, wenn dies durch Bundes- oder Landesgesetz vorgeschrieben ist (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO) oder in den Fällen, in denen die Behörde gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO die sofortige Vollziehung der Verfügung im öffentlichen Interesse anordnet. Das Gericht kann dann auf Antrag die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs bzw. der Klage gegen einen für sofort vollziehbar erklärten Verwaltungsakt (hier Ziffer 1. der Unterlassungsverfügung vom 20. Juni 2011) wiederherstellen und gegen einen von Gesetzes wegen sofort vollziehbaren Verwaltungsakt (hier Ziffer 3. des Bescheides) anordnen. Der Antrag hat nur Erfolg, wenn das private Interesse des Antragstellers, von der Vollziehung des Verwaltungsaktes vorerst verschont zu bleiben, das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung überwiegt.

Das ist hier nicht der Fall.

Die unter Ziffer 2. getroffene Anordnung, mit der der Antragsgegner die in der Ziffer 1. des Bescheides vom xxx verfügte Untersagung, Nikotindepots zur Verwendung mit E-Zigaretten an andere abzugeben oder in den Verkehr zu bringen, im öffentlichen Interesse für sofort vollziehbar erklärt hat, entspricht mit ihrer ausführlichen und einzelfallbezogenen Begründung dem Begründungserfordernis (§ 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO). Ob die dort genannten Erwägungen, insbesondere zur Vermeidung von Gesundheitsgefährdungen, die Anordnung der sofortigen Vollziehung tatsächlich rechtfertigen, ist keine Frage des – formalen - Begründungserfordernisses.

Der Antragsteller geht zudem zu Unrecht davon aus, er habe vor Erlass der Vollziehbarkeitsanordnung angehört werden müssen. Anzuhören ist nach § 28 Abs. 1 Verwaltungsverfahrensgesetz des Landes Brandenburg (VwVfG Bbg) nur der Betroffene eines belastenden Verwaltungsaktes. Bei einer Anordnung der sofortigen Vollziehung gem. § 80 Abs. 2 S. 2 Nr. 4 VwGO handelt es sich jedoch nicht um einen Verwaltungsakt i. S. v. § 35 S. 1 VwVfG Bbg, sondern lediglich um einen unselbstständigen Annex (vgl. Kopp/Schenke VwGO-Kommentar, 17. Aufl., Rn. 78 zu § 80 m. w. N.). Auch eine analoge Anwendung des § 28 Abs. 1 VwVfG scheidet aus, weil die Eingriffsintensität einer Vollziehbarkeitsanordnung nicht mit der eines belastenden Verwaltungsaktes vergleichbar ist (vgl. Kopp/Schenke VwGO-Kommentar, 17. Aufl., Rn. 82 zu § 80 m. w. N.).

Die Anordnung der sofortigen Vollziehung hält auch in materieller Hinsicht einer gerichtlichen Überprüfung stand. Inhaltlicher Maßstab der hier gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO zu treffenden gerichtlichen Entscheidung im Eilverfahren ist eine umfassende Interessenabwägung. Das Gericht prüft im Falle einer solchen Anordnung, ob die Behörde zu Recht das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung höher gewichtet hat als das private Interesse des Adressaten, bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens von einer Vollziehung des Verwaltungsakts verschont zu bleiben. Im Rahmen dieser Interessenabwägung haben auch Erkenntnisse über die Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes Bedeutung, allerdings nicht als unmittelbare Entscheidungsgrundlage, sondern als bei Gewichtung des Sofortvollzugsinteresses in die Abwägung einzustellende Gesichtspunkte (st. Rspr. OVG Berlin-Brandenburg, vgl. hierzu u.a. Beschluss vom 15. September 2006 – 11 S 57.06 – juris, Rn. 9, in Anlehnung an die Rspr. BVerfG, hier z.B. Beschluss vom 11. Februar 1982 – 2 BvR 77/82 – NVwZ 1982, 241 und Beschluss vom 12. September 1995 – 2 BvR 1179/95 – DVBl. 1995, 1297 f.).

Vorliegend war dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung der Vorrang vor dem privaten Aufschubinteresse einzuräumen, auch wenn sich nach der in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes allein gebotenen und möglichen summarischen Prüfung die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs gegen den zu vollziehenden Verwaltungsakt als offen erweisen.

Der Vorrang des öffentlichen Vollziehungsinteresses i. S. v. § 80 Abs. 2 S. 2 Nr. 4 VwGO ergibt sich hier aus dem überwiegenden Interesse der Allgemeinheit, durch die Untersagung des Vertriebs eventuell nicht verkehrsfähiger Arzneimittel vor Gesundheitsgefährdungen oder -schäden geschützt zu werden. Denn die Gefahr, dass Menschen durch eine Überdosierung des in den E-Liquids enthaltenen Nervengifts Nikotin, zu Schaden kommen, ist nicht zuletzt mit Blick auf die hier in Rede stehende Zusammensetzung und Darreichungsform besonders groß. Der Antragsgegner hat nachvollziehbar dargelegt, dass das in den E-Liquids (Depots) gelöste Nikotin insbesondere wegen der Beimischung von Aromastoffen in verschiedenen Geschmacksrichtungen, wie Vanille, Erdbeere oder Apfel, speziell für Kinder und Jugendliche eine erhöhte Gefahr darstellt. Außerdem kommt noch hinzu, dass für eine tödliche Nikotindosis von 40-60 mg bereits 4 ml der Flüssigkeit und damit unter Umständen noch nicht einmal die Hälfte eines Depots (10 ml) ausreicht. Eine schwerste Gesundheitsschäden verursachende Überdosis an Nikotin erscheint mithin ohne weiteres möglich. Der Antragsgegner hat deshalb der präventiven Abwehr dieser nicht unerheblichen Gesundheitsgefahren im Ergebnis zu Recht den Vorrang vor dem privaten Interesse an einer gewinnbringenden Vermarktung der Nikotindepots eingeräumt.

Nach dem gegenwärtigen Sach- und Streitstand im Eilverfahren ist eine abschließende Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Untersagungsverfügung vom xxx ohne Überspannung des hier geltenden Prüfungsmaßstab nicht möglich.

Zunächst gilt dies zwar nicht für die formelle Rechtmäßigkeit der Ordnungsverfügung, die auch aufgrund summarischer Prüfung zweifelsfrei festgestellt werden kann. Der für die Entscheidung gem. § 1 Abs. 1 Nr. 3 der Verordnung über die Zuständigkeiten im Arzneimittelwesen vom 27. Oktober 1992 (GVBl. II, 693) zuständige Antragsgegner hat den Bescheid in verfahrensrechtlich nicht zu beanstandender Art und Weise erlassen. Der Antragsteller ist gem. § 28 Abs. 1 VwVfG Bbg ordnungsgemäß angehört worden. Nach der genannten Vorschrift ist vor Erlass eines Verwaltungsaktes, der in die Rechte eines Beteiligten eingreift, diesem Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Nach obergerichtlicher Rechtsprechung ist ein Betroffener erst dann angehört, wenn er die Möglichkeit hatte, auf den Gang und das Ergebnis des Verfahrens dadurch Einfluss zu nehmen, dass seine im Rahmen der Anhörung abgegebenen Stellungnahmen von der Behörde bei ihrer Entscheidung ernsthaft in Erwägung gezogen werden (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG Kommentar, 10. Aufl., Rn. 12 und 14 zu § 28 m. w. N.). Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. In den zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätzen vom xxx und xxx bzw. xxx ist die zentrale Rechtsfrage - die tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen für die Qualifizierung eines Produktes als zulassungspflichtiges Arzneimittel - ausführlich erörtert worden. Die vom Antragsteller dort vorgetragene Argumentation hat ausdrücklich Eingang in die Begründung der Untersagungsverfügung gefunden. Entgegen seiner Rechtsauffassung war dem Antragsteller unmittelbar vor Erlass des Bescheides nicht nochmals Gelegenheit zur Stellungnahme einzuräumen. Auch wenn zwischen letzter Stellungnahme und Erlass des Bescheides bereits 4 Monate vergangen waren, hatte der Antragsgegner keine Veranlassung, den Antragsteller erneut anzuhören, weil sich die Sach- und Rechtslage zwischenzeitlich nicht geändert hatte. Außerdem erklärte der Antragsteller in der Ankündigung vom 30. Mai xxx, die E-Zigaretten nebst Zubehör bereits ab dem 15. Juni xxx vertreiben zu wollen und bat für den Fall, dass sein Begehren für unzulässig erachtet werde, um einen rechtsmittelfähigen Bescheid. Damit setzte er selbst die Ursache für die Beschleunigung des Verfahrens, um in den Besitz einer durch Dritte überprüfbaren Entscheidung zu gelangen (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG Kommentar, 10. Aufl., Rn. 14 zu § 28).

Materiell ist die Rechtslage hinsichtlich der unter Ziffer 1. des Bescheides vom xxx verfügten Untersagung, Nikotindepots zur Verwendung mit E-Zigaretten an andere abzugeben oder in den Verkehr zu bringen, allerdings im Ergebnis noch offen und bedarf im Hauptsacheverfahren einer weiteren Klärung.

Ermächtigungsgrundlage für die Untersagung ist § 69 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 1 Arzneimittelgesetz (AMG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 12. Dezember 2005 (BGBl. I, 3394 mit späteren Änderungen). Danach treffen die zuständigen Behörden die zur Beseitigung festgestellter Verstöße und die zur Verhütung künftiger Verstöße notwendigen Anordnungen. Sie können insbesondere das Inverkehrbringen von Arzneimitteln oder Wirkstoffen untersagen, deren Rückruf anordnen und diese sicherstellen, wenn u. a. (Ziffer 1. des Abs. 1) die erforderliche Zulassung oder Registrierung für das Arzneimittel nicht vorliegt. Gemäß § 21 Abs. 1 S. 1 AMG dürfen Fertigarzneimittel im Geltungsbereich dieses Gesetzes nur in den Verkehr gebracht werden, wenn sie durch die zuständige Bundesbehörde zugelassen sind oder wenn für sie die Kommission der Europäischen Gemeinschaften oder der Rat der Europäischen Union eine Genehmigung für das Inverkehrbringen erteilt hat. Da der vom Antragsteller mit Schreiben vom xxx für den xxx angezeigte Verkauf ein Inverkehrbringen im Sinne von § 4 Abs. 17 AMG darstellt und für die dort näher bezeichneten „E-Liquids“ unstreitig eine Zulassung nicht erteilt worden ist, kommt es für die Rechtmäßigkeit der Untersagung auf der Tatbestandsseite noch darauf an, ob die Nikotindepots zulassungspflichtige Arzneimittel i. S. v. § 2 Abs. 1 AMG sind.

Gemäß § 2 Abs. 1 AMG sind Arzneimittel Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen,

1. die zur Anwendung im oder am menschlichen oder tierischen Körper bestimmt sind und als Mittel mit Eigenschaften zur Heilung oder Linderung oder zur Verhütung menschlicher oder tierischer Krankheiten oder krankhafter Beschwerden bestimmt sind oder

2. die im oder am menschlichen oder tierischen Körper angewendet oder einem Menschen oder einem Tier verabreicht werden können, um entweder

a) die physiologischen Funktionen durch eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen oder

b) eine medizinische Diagnose zu erstellen.

Diese durch Gesetz vom 17. Juli 2009 (BGBl I, 2009, Seite 1990) geänderte Definition des Arzneimittelbegriffs fußt auf der Umsetzung der europarechtlichen Regelung in Art. 1 Nr. 2 Abs. 2 der Humanarzneimittelrichtlinie 2001/83/EG vom 6. November 2001, die ihrerseits durch die Änderungsrichtlinie 2004/27/EG vom 31. März 2004 neu gefasst wurde.

Danach sind Arzneimittel

„a) Alle Stoffe oder Stoffzusammensetzungen, die als Mittel mit Eigenschaften zur Heilung oder zur Verhütung menschlicher Krankheiten bestimmt sind, oder

b) alle Stoffe oder Stoffzusammensetzungen, die im oder am menschlichen Körper verwendet oder einem Menschen verabreicht werden können,

um entweder die menschlichen physiologischen Funktionen durch eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen oder eine medizinische Diagnose zu erstellen."

Prägendes Merkmal aller Definitionen ist die pharmakologische Wirkung des Arzneimittels auf die physiologischen Funktionen des Körpers, wobei man Physiologie als die Wissenschaft von den normalen Lebensvorgängen im menschlichen Körper begreift (vgl. OVG Saarlouis, Urteil vom 3. Februar 2006, 3 R 7/05, S. 16 Rn. 117 zitiert nach juris). In Abgrenzung zum Lebensmittel spricht man von der pharmakologischen Wirkung eines Produktes, wenn es diejenige übersteigt, die physiologisch auch mit der Nahrungsaufnahme im menschlichen Körper ausgelöst wird (vgl. EuGH/LRE 16 S. 242 ff. und BGH, ZLR 2002 S. 638 ff.). Zur weiteren Begriffsbestimmung ist in diesem Zusammenhang noch das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 30. April 2009 zum Aktenzeichen C-27/08 zu beachten. In dieser Entscheidung hatte der EuGH die vorgelegte Frage zu klären:

„..., ob Art. 1 Nr. 2 der Richtlinie 2001/83 dahin auszulegen ist, dass ein Erzeugnis, das einen Stoff enthält, der in einer bestimmten Dosierung eine physiologische Wirkung hat, ein Funktionsarzneimittel ist, wenn es in Anbetracht seiner Wirkstoffdosierung bei normalem Gebrauch gesundheitsgefährdend ist, ohne jedoch die menschlichen physiologischen Funktionen wiederherstellen, korrigieren oder beeinflussen zu können.“

Unter Hinweis auf seine bisherige Rechtsprechung (EuGH, GRUR 2009, 511 „Hecht-Pharma/Gewerbeaufsichtsamt Lüneburg“) stellte der EUGH hier zunächst klar, dass es für die Beurteilung, ob ein Erzeugnis ein Funktionsarzneimittel ist, im Einzelfall auf seine Zusammensetzung, seine pharmakologischen, immunologischen oder metabolischen Eigenschaften, wie sie sich beim jeweiligen Stand der Wissenschaft feststellen lassen, die Modalitäten seines Gebrauchs, den Umfang seiner Verbreitung, seine Bekanntheit bei den Verbrauchern und die Risiken, die seine Verwendung mit sich bringen kann, ankommt und führte sodann in Beantwortung der vorgelegten Frage weiter aus:

"..., dass Art. 1 Nr. 2 der Richtlinie 2001/83 dahin auszulegen ist, dass ein Erzeugnis, das einen Stoff enthält, der in einer bestimmten Dosierung eine physiologische Wirkung hat, kein Funktionsarzneimittel ist, wenn es in Anbetracht seiner Wirkstoffdosierung bei normalem Gebrauch gesundheitsgefährdend ist, ohne jedoch die menschlichen physiologischen Funktionen wiederherstellen, korrigieren oder beeinflussen zu können.“

Für den hier zu entscheidenden Fall bedeutet dies, dass die Beurteilung, ob es sich bei den Nikotindepots um ein Arzneimittel handelt, nicht abstrakt auf die toxischen Eigenschaften des Nikotins abstellen kann. Der Antragsgegner hat zwar zutreffend ausgeführt, dass es sich bei dem unter Einsatz der E-Zigarette verdampften Nikotin um ein hauptsächlich in der Tabakpflanze vorkommendes Alkaloid mit parasympathomimetrischer Wirkung, d.h. ein Nervengift handelt, das wegen seiner blutgefäßverengenden Nebenwirkungen die Gefahr für Thrombose, Herzinfarkt und Raucherbein erheblich steigert (i. E. nachzulesen bei http://de.wikipedia.org/wiki /Nikotin ). Nikotin ist mithin zweifellos geeignet, die Lebensvorgänge im menschlichen Körper (negativ) zu beeinflussen, gleichwohl genügt dies für sich genommen noch nicht, um die Nikotindepots den Arzneimitteln zuzuordnen. Denn neben der objektiven Eignung eines Produktes, auf physiologische Vorgänge im menschlichen Körper einwirken zu können, muss es auch dazu bestimmt sein, diagnostischen oder therapeutischen Zwecken zu dienen (vgl. Rehmann, AMG-Kommentar, 3. Aufl., Rn. 2 zu § 2 m. w. N.). Die Bestimmung des Verwendungszweckes eines Produktes richtet sich dabei nach objektiven Kriterien, die sich im Wesentlichen in der allgemeinen Verkehrsanschauung widerspiegeln. Diese wiederum wird je nach Art des Produktes u. a. durch dessen Namen, seine Inhaltsstoffe, beigegebene Gebrauchsanweisungen, Packungsaufschriften, Besonderheiten beim Verbrauch, die Werbung, das Forschungs-, Diskussions- und Meinungsbild in der Wissenschaft bestimmt (vgl. EUGH a. a. O. und auch schon BGH, Urteil vom 30. März 2006 - I ZR 24/03 -, WRP 2006, 736).

Und eben diese Bestimmung des Verwendungszweckes nach Maßgabe der allgemeinen Verkehrsanschauung kann auf der Grundlage des gegenwärtigen Sach- und Streitstandes im hiesigen Verfahren noch nicht vorgenommen werden. Aufgrund der Entscheidung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte vom 22. Juli 2009 (Bl. 56 - 61 der Beiakte), der Stellungnahme des Abgrenzungbeirates des Bundesministeriums für Gesundheit, Familie und Jugend Österreichs vom 18. April 2007 (Bl. 83/84 der Gerichtsakte) und des Pharmakologisch- toxikologische Fachgutachtens über die elektrische Zigarette von Liquidshop S.L. des Universitätsprofessors Dr. Bernd Mayer vom 18. November 2010, spricht zwar Überwiegendes dafür, dass auch die vom Antragsteller in seiner „Benachrichtigung“ vom xxx konkret bezeichneten Nikotindepots (E-Liquids) in ihrer Funktionsweise bei Anwendung in Verbindung mit E-Zigaretten in etwa dem Produkt „Nicorette Inhaler“ entsprechen, welches als Arzneimittel zur (Nikotin-)Suchtbekämpfung zugelassen ist. Damit steht aber noch nicht fest, dass auch die Nikotindepots des Antragstellers als Arzneimittel zu qualifizieren sind. Denn den vom Antragsgegner vorgelegten Unterlagen zufolge werden E-Zigaretten mit Nikotindepots weder von den Herstellern noch durch den Handel als Mittel zur (Nikotin-)Suchtbekämpfung beschrieben oder beworben. Sie sollen vielmehr „gesünderes und breiter anwendbares“ Ersatzgenussmittel für die herkömmliche Zigarette sein. Damit tritt neben die objektive Eignung, bei entsprechender Dosierung wie ein Arzneimittel angewandt zu werden, der vom Hersteller beschriebene Gebrauch, der sich in seiner physiologischen Wirkung von dem des ersetzten Sucht-/Genussmittels – hier der herkömmlichen Zigarette - nicht oder zumindest nicht wesentlich unterscheidet. In solchen Fällen spricht man von sogenannten „Dual-Use-Produkten“, wie es sie beispielsweise auch im Bereich der Nahrungsergänzungsmittel gibt (vgl. Rehmann, AMG-Kommentar, 3. Aufl., Rn. 6 zu § 2 m. w. N.). Die Kammer hält es hierbei zwar durchaus für möglich, dass sich eine von der Produktbeschreibung des Herstellers abweichende Verkehrsauffassung herausbilden kann, so etwa im Falle einer sich allgemein bei einem erheblichen Teil der Verbraucher durchsetzenden Zweckentfremdung. Dafür ist hier weder etwas vorgetragen noch sonst ersichtlich, zumal es gesicherte Informationen über die marktübliche Verwendung des Produkts aufgrund seiner Neuheit nicht geben kann.

Für eine gesicherte Zuordnung des Produktes zu den Arzneimitteln kann auch nicht auf Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83/EG vom 6. November 2001 abgestellt werden. Nach dieser Vorschrift soll in Zweifelsfällen, in denen ein Erzeugnis unter Berücksichtigung aller seiner Eigenschaften sowohl unter die Definition von „Arzneimittel“ als auch unter die Definition eines Erzeugnisses fallen kann, dass durch andere gemeinschaftliche Rechtsvorschriften geregelt ist, diese Richtlinie gelten. Selbst wenn man dieser Regelung nicht lediglich deklaratorische Bedeutung beimessen würde und davon ausginge, dass sie auch ohne Umsetzung durch die 14. AMG-Novelle unmittelbar in Deutschland anwendbar wäre, bliebe gleichwohl anhand der oben dargestellten Arzneimitteldefinition zu klären, ob ein so genannter Zweifelsfall vorliegt. Nach ganz herrschender Meinung in Rechtsprechung und Literatur (vgl. Rehmann, AMG-Kommentar, 3. Aufl., Rn. 6 zu § 2 m. w. N. und Dr. Rolf-Georg Müller: „Grundfragen des Arzneimittelbegriffs und der Zweifelsregelung“ in NVwZ 2009, 425 ff.) ist es deshalb durch Schaffung dieser Regelung zu keiner grundlegenden Änderung der Produkteinordnungskriterien gekommen, zumal jedenfalls Einigkeit darüber besteht, dass die Einordnung eines Produktes als Arzneimittel auf Verdacht nicht in Betracht kommen soll (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. Juli 2007 – 3 C 21.06 - zit. nach juris und EuGH, Urteil vom 15. November 2007 – C 319/05 (Knoblauchkapseln) - zitiert nach juris).

Ob sich die E-Zigarette mit Nikotindepot tatsächlich zum Einsatz als (Suchtbekämpfungs-)Arzneimittel eignet und ob diese Verwendung auch der allgemeinen Verkehrsanschauung entspricht, muss mithin einer Klärung im Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben.

Einer Klärung im Hauptsacheverfahren bedarf es ebenfalls, soweit es um die Anwendbarkeit des Ausschlusstatbestandes gem. § 2 Abs. 3 Nr. 3 AMG geht. Danach sind Tabakerzeugnisse im Sinne des § 3 des Vorläufigen Tabakgesetzes (VTabakG) keine Arzneimittel. § 3 Abs. 1 VTabakG definiert Tabakerzeugnisse als Erzeugnisse, die aus Rohtabak oder unter Verwendung von Rohtabak hergestellt und zum Rauchen, Kauen oder anderweitigen oralen Gebrauch oder zum Schnupfen bestimmt sind. Die Anwendung des Ausschlusstatbestandes scheidet nach Auffassung der Kammer nicht bereits deshalb aus, weil das Inhalieren des zerstäubten Nikotin-Glykol-Gemisches nicht wie beim Rauchen auf einem Verbrennungsprozess beruht. Der weit gefasste Tatbestand erfasst jedenfalls auch das Inhalieren eines elektrothermisch erzeugten Dampfgemisches. Klärungsbedürftig erscheint vielmehr die Frage, ob das Nikotin-Glykol-Gemisch unter Verwendung von bzw. aus Rohtabak hergestellt wird. Sollte dies der Fall sein und wären deshalb die Nikotindepots des Antragstellers als Tabakerzeugnisse i. S. v. § 3 Abs. 1 VTabakG anzusehen, bliebe - gegebenenfalls durch Vorlage beim EuGH - zu klären, ob sie mit Blick auf Art. 2 Nr. 1 und Nr. 3 der Richtlinie 89/622/EWG vom 2. Dezember 1989 gleichwohl nicht den Tabakerzeugnissen zugeordnet werden können (vgl. VG Potsdam, Beschluss vom 9. Juni 2008 - 3 L 115/08 — zit. nach juris).

Das - bei Erfüllung der tatbestandlichen Voraussetzungen - nach § 69 Abs. 1 Satz 1 AMG eingeräumte Ermessen hat der Antragsgegner erkannt und ordnungsgemäß ausgeübt. Er hat die wesentlichen Erwägungen in der Begründung seiner Verfügung zum Ausdruck gebracht. Die Inanspruchnahme des Antragstellers als Verhaltensstörer im Sinne von § 16 Abs. 1 Ordnungsbehördengesetz (OBG) ist rechtlich nicht zu beanstanden.

Dem Hilfsantrag bleibt der Erfolg aus den oben bereits genannten Gründen verwehrt, weil die Anordnung des Sofortvollzuges gemäß § 80 Abs. 3 VwGO keinen durchgreifenden Bedenken begegnet und sie deshalb keiner Aufhebung unterliegen kann.

Schließlich begegnet die unter Ziff. 3. der Untersagungsverfügung geregelte Androhung eines Zwangsgeldes keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Sie entspricht den gesetzlichen Anforderungen nach §§ 15, 17, 21, 23 Abs. 2 Verwaltungsvollstreckungsgesetz für das Land Brandenburg (VwVG BB). Der Antragsgegner hat sich ermessensfehlerfrei für die Androhung dieses Zwangsmittels entschieden, weil es das zweckmäßigste zur Durchsetzung der Unterlassung ist. Der in Ansatz gebrachte Betrag von 1.000,00 Euro erscheint in Anbetracht des wirtschaftlichen Interesses des Antragstellers in seiner Höhe gerechtfertigt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 53 Abs. 3 Nr. 2 i. V. m. § 52 Abs. 1 GKG, wobei sich die Kammer an Ziff. 54.2.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (2004) orientiert und wegen der Vorläufigkeit der Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren diesen Wert auf die Hälfte reduziert.

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