Baden Würtemberg: Karlsruhe

Urteil vom BGH

Entscheidungsdatum: 09.09.2010
Aktenzeichen: I ZR 72/08

Tenor

I. Das Verfahren wird ausgesetzt.

II. Dem Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes wird die Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob das deutsche Arzneimittelpreisrecht auch für im Wege des Versandhandels nach Deutschland eingeführte Arzneimittel gilt.

Gründe

I. Die in den Niederlanden ansässige Beklagte betreibt dort eine Präsenzapotheke und daneben im Internet eine Versandapotheke. Über sie werden Medikamente in deutscher Sprache unter Angabe ihrer deutschen Bezeichnung oder der durch die deutsche Zulassungsbehörde vergebenen Pharmazentralnummer angeboten. Die Abgabe verschreibungspflichtiger Arzneimittel erfolgt sodann gegen Einsendung eines Originalrezepts.

Gegenüber kraft Gesetzes krankenversicherten Personen in Deutschland wirbt die Beklagte unter der Überschrift „Sparen Sie beim Medikamentenkauf“ mit einem Bonussystem. Danach erhält der Kunde bei verschreibungspflichtigen Medikamenten auf Kassenrezept einen Bonus von 3% des Warenwerts, mindestens aber 2,50 € und höchstens 15 € pro verordneter Packung. Der Bonus wird entweder direkt mit dem Rechnungsbetrag der Bestellung oder - sofern er höher ist als dieser - im Rahmen einer künftigen Bestellung verrechnet.

Die Klägerin betreibt eine Apotheke in Darmstadt. Sie hält das Bonussystem der Beklagten für rechtswidrig und damit auch für wettbewerbswidrig. Es verstoße zum einen gegen § 7 HWG, der verhindern solle, dass die Verbraucher bei der Entscheidung, ob und welche Heilmittel sie in Anspruch nähmen, durch die Aussicht auf Zugaben und Werbegaben unsachlich beeinflusst würden. Zum anderen handele die Beklagte mit ihrem System dem § 78 Abs. 2 Satz 2 AMG zuwider, der einen einheitlichen Apothekenabgabepreis für apothekenpflichtige Arzneimittel vorsehe. Schließlich verstoße die Gewährung von Rabatten in Höhe von bis zu 15 € pro Arzneimittel gegen § 4 Nr. 1 UWG, da sie die Entscheidungsfreiheit der Verbraucher durch unangemessene unsachliche Beeinflussung beeinträchtige.

Die Klägerin hat die Beklagte auf Unterlassung der Ankündigung und Gewährung ihrer Boni in Anspruch genommen.

Die Beklagte hält ihr Bonussystem für zulässig. Da es keine produkt-, sondern eine unternehmensbezogene Werbung darstelle, verstoße es nicht gegen das Heilmittelwerberecht. Die aufgrund des § 78 AMG erlassene Arzneimittelpreisverordnung sei auf den Vertrieb von Arzneimitteln durch eine niederländische Versandapotheke in Deutschland nicht anwendbar, da ein entsprechender Gestaltungswille des Gesetzgebers fehle. Auch widerspreche die Geltung dieser Preisbindung für innerhalb der Europäischen Gemeinschaft ausgeführte grenzüberschreitende Arzneimittelverkäufe dem Gemeinschaftsrecht. Der Kunde werde auch nicht im Sinne des § 4 Nr. 1 UWG unsachlich beeinflusst. Die Annahme, das Bonussystem der Beklagten veranlasse Patienten dazu, sich medizinisch unsinnige Arzneimittel verschreiben zu lassen, sei lebensfremd.

Das Berufungsgericht hat der im ersten Rechtszug erfolglosen Klage stattgegeben (OLG Frankfurt a.M., GRUR-RR 2008, 306 = WRP 2008, 969). Dagegen richtet sich die Revision der Beklagten, die ihren Klageabweisungsantrag weiterverfolgt.

II. Das Verfahren ist auszusetzen. Die Sache ist dem Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes zur Entscheidung der Vorlagefrage vorzulegen (§§ 2, 11 RsprEinhG). Das Berufungsgericht hat die Verurteilung der Beklagten mit Recht weder auf § 4 Nr. 1 noch auf § 4 Nr. 11 UWG in Verbindung mit § 7 HWG gestützt. Mit der Vorinstanz ist der Senat der Ansicht, dass das deutsche Arzneimittelpreisrecht auch für im Wege des Versandhandels nach Deutschland eingeführte Arzneimittel gilt. Da nach seiner Auffassung auch die weiteren Voraussetzungen für den auf § 8 Abs. 1, 3 Nr. 1, §§ 3, 4 Nr. 11 UWG i.V. mit § 78 Abs. 2 Satz 2 und 3 AMG, § 1 Abs. 1 Nr. 2, § 3 AMPreisV gestützten Klageanspruch vorliegen, möchte er die Revision der Beklagten zurückweisen. Er sieht sich hieran allerdings durch die Rechtsprechung des 1. Senats des Bundessozialgerichts gehindert. Dieser hat entschieden, dass das deutsche Arzneimittelpreisrecht für im Wege des Versandhandels nach Deutschland eingeführte Arzneimittel nicht gilt (BSGE 101, 161 Rn. 23 ff.).

III. Die Vorlagefrage ist nach Auffassung des Senats zu bejahen.

1. Nach Ansicht des Bundessozialgerichts sind die Arzneimittel-Preisvorschriften klassisches hoheitliches Eingriffsrecht und daher schon nach dem völkerrechtlichen Territorialitätsprinzip auf Arzneimittel außerhalb des Inlands unanwendbar. Da auch kein Anhaltspunkt dafür bestehe, dass das Arzneimittelgesetz und die Arzneimittelpreisverordnung insoweit Geltungskraft außerhalb Deutschlands beanspruchten, dürften nicht nur Hersteller im Ausland oder bei Abgabe von Arzneimitteln ins Ausland, sondern auch Arzneimittelimporteure ihre Abgabepreise frei bestimmen. Hierdurch könne es auf der Einzelhandelsstufe zu einem Preiswettbewerb kommen, ohne dass dem das Preisrecht nach dem Arzneimittelgesetz entgegenstehe (BSGE 101, 161 Rn. 23).

Eine bei diesen Gegebenheiten erforderliche Sonderregelung bei der Abgabe von Arzneimitteln durch Internetapotheken an Endverbraucher sei weder im seit 1. Januar 2004 geltenden § 73 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a AMG noch in den zugleich zur Ermöglichung des Versandhandels und des elektronischen Handels mit Arzneimitteln eingefügten bzw. geänderten §§ 11a, 11b ApoG, § 17 ApoBetrO enthalten (aaO Rn. 24 bis 26). Der Gesetzgeber habe bei der damaligen umfassenden Neuregelung, die sich in anderem Zusammenhang auch auf die Preisvorschriften erstreckt habe, nicht beabsichtigt, für den Import von Arzneimitteln durch im Ausland ansässige Versandhandelsapotheken besondere Preisvorschriften einzuführen (aaO Rn. 27). Dies werde auch durch die zum 1. Mai 2006 in § 130a SGB V eingefügten Absätze 3a und 3b deutlich. Danach seien Erhöhungen des Herstellerabgabepreises bei Fertigarzneimitteln, für die in der Arzneimittelpreisverordnung oder in § 129 Abs. 5a SGB V verbindliche Handelszuschläge geregelt sind, im Zeitraum vom 1. April 2006 bis zum 31. März 2008 bei der Abrechnung mit der gesetzlichen Krankenversicherung nicht wirksam geworden (aaO Rn. 29). Die dort für diesen Zeitraum bestimmte Begrenzung des Ausgleichs von Preiserhöhungen bei Re- und Parallelimporten auf einen Betrag, bei dem Importarzneimittel mindestens 15% bzw. 15 € preisgünstiger blieben als Bezugsarzneimittel unter Berücksichtigung des zweijährigen Festschreibens der Abrechnungspreise mit den Krankenkassen, trage einerseits den begrenzten Möglichkeiten der Arzneimittelimporteure Rechnung, Preiserhöhungen auf ausländischen Märkten auszugleichen. Sie gewährleiste andererseits den Fortbestand des gesetzlichen Preisabstandes zu den Bezugsarzneimitteln auch im Rahmen der Regelungen zum Ausschluss von Erhöhungen der Abrechnungspreise mit den Krankenkassen und trage damit zur Erhaltung des Wettbewerbs durch preisgünstige Importarzneimittel bei (aaO Rn. 29).

2. Der Senat möchte dieser Beurteilung nicht beitreten.

a) Er ist im Hinblick auf die in § 73 Abs. 4 Satz 2 AMG enthaltene Regelung schon nicht der Ansicht, dass die deutschen Preisvorschriften für eingeführte Arzneimittel mangels einer speziellen Regelung im Arzneimittelrecht insgesamt unanwendbar sind. Nach der genannten Bestimmung finden auf die im Wege der sogenannten Einzeleinfuhr gemäß § 73 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 und 6 bis 10, Abs. 3 AMG eingeführten Arzneimittel nur die dort im Einzelnen aufgeführten Vorschriften des Arzneimittelgesetzes Anwendung. Zu diesen - wenigen - auf einzelimportierte Arzneimittel anzuwendenden Vorschriften zählt indes die Bestimmung des § 78 AMG. Damit gelten jedenfalls für im Wege der Einzeleinfuhr eingeführte Arzneimittel die Regelungen des deutschen Arzneimittelpreisrechts (Dettling, A&R 2008, 204, 205). Wenn aber sogar bei diesen - vom deutschen Arzneimittelrechtsregime ansonsten weitgehend freigestellten - Arzneimitteln das deutsche Preisrecht gilt, kann für die im Wege des grenzüberschreitenden Versandhandels eingeführten Arzneimittel kaum etwas anderes gelten (Mand, PharmR 2008, 582, 585 mwN).

Auf der Grundlage seiner Auffassung, dass alle Arzneimittel außer denen, die im Inland hergestellt sind und das Inland auch nachfolgend bis zur Abgabe in der Apotheke nicht verlassen haben, gleich zu behandeln seien, hätte das Bundessozialgericht diese Mittel unter Berücksichtigung der Regelung des § 73 Abs. 4 Satz 2 AMG an sich mangels einer Sonderregelung sämtlich dem deutschen Arzneimittelpreisrecht unterstellen müssen. Es hat es demgegenüber allerdings - unter anderem unter Hinweis auf eine zu den sogenannten Re- bzw. Parallelimport-Arzneimitteln i.S. von § 129 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB V ergangene Entscheidung des Kartellsenats des Bundesgerichtshofs (BGH, Beschluss vom 21. Februar 1995 - KVR 10/94, BGHZ 129, 53, 54 und 55 - Importarzneimittel) - als maßgeblich angesehen, dass Importeure Arzneimittelpreise frei bestimmen dürfen und importierte Arzneimittel daher auf der Einzelhandelsstufe preisgünstiger sind als im Inland hergestellte Präparate, die das Inland bis zu ihrer Abgabe in der Apotheke nicht verlassen haben (BSGE 101, 161 Rn. 23).

Für die Anwendbarkeit des deutschen Arzneimittelpreisrechts ist der Sitz des Arzneimittelherstellers (§ 4 Abs. 14, §§ 13 ff. AMG) , des pharmazeutischen Unternehmers (§ 4 Abs. 18, § 9 AMG) sowie der Großhändler, über die die für den deutschen Markt zugelassenen Arzneimittel an die abgebende Apotheke gelangen (§ 4 Abs. 22, § 52a AMG) , jedoch ebenso wenig von Belang wie die Frage, ob und gegebenenfalls wie oft ein solches Arzneimittel zwischen der Herstellung und dem Vertrieb nach Deutschland importiert wurde (Dettling, A&R 2008, 204, 206; vgl. auch Mand, PharmR 2008, 582, 585 f.). Bei den vom Bundessozialgericht angesprochenen importierten Arzneimitteln im Sinne von § 129 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB V handelt es sich um ursprünglich für ausländische Märkte hergestellte und gekennzeichnete Arzneimittel, die von darauf spezialisierten Importunternehmen re- oder parallelimportiert und durch geänderte oder neue Verpackungen im Inland verkehrsfähig gemacht werden und einer in einem vereinfachten Verfahren zu erteilenden eigenen Zulassung bedürfen. Der Re- oder Parallelimporteur ist daher selbst pharmazeutischer Unternehmer und muss sich bei der Festsetzung seines eigenen - verbindlichen - Abgabepreises allein an die Vorgabe des § 129 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB V halten, dass der für den Versicherten maßgebliche Abgabepreis mindestens 15% oder 15 € niedriger liegt als der für den Versicherten maßgebliche Arzneimittelabgabepreis des jeweiligen Original-Bezugsarzneimittels (Dettling aaO). Dagegen handelt es sich beim Versand von in Deutschland zugelassenen Fertigarzneimitteln durch ausländische Versandapotheken in den Geltungsbereich des deutschen Arzneimittelgesetzes um den unveränderten Import hier zugelassener Fertigarzneimittel, wobei - ebenso wie bei inländischen Versandapotheken - sowohl Original-Bezugsarzneimittel als auch re- oder parallelimportierte Arzneimittel geliefert werden können (Dettling aaO S. 207).

b) Es kommt hinzu, dass es im Streitfall um Arzneimittel geht, die in Deutschland zugelassen und in deutscher Sprache gekennzeichnet sind und gemäß den vertraglichen Vereinbarungen mit deutschen Endverbrauchern oder - bei gesetzlich versicherten Personen - mit deutschen gesetzlichen Krankenkassen nach Deutschland geliefert werden. Der damit jeweils gegebene Inlandsbezug kann die Anwendung der deutschen Preisvorschriften auch ohne ausdrückliche einseitige Kollisionsnorm rechtfertigen (vgl. Mand, PharmR 2008, 582, 583 mwN). Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat für den vergleichbaren Sachverhalt der Preisbindung grenzüberschreitender Dienstleistungen von Architekten und Ingenieuren nach der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI) entschieden, dass die Mindestpreisregel des § 4 Abs. 4 HOAI aF nach nationalem Kollisionsrecht auch ohne eine ihre Anwendbarkeit anordnende Norm Geltung beansprucht, wenn Architekten oder Ingenieure im Ausland Pläne für in Deutschland gelegene Bauvorhaben entwerfen (BGH, Urteil vom 27. Februar 2003 - VII ZR 169/02, BGHZ 154, 110, 115 f.).

c) Auch ansonsten sind Regelungen mit extraterritorialer Wirkung nach allgemeinem Völkerrecht gemäß dem mittlerweile in Art. 6 Abs. 1 Rom-II-VO kodifizierten und insoweit nach Art. 6 Abs. 4 Rom-II-VO sogar zwingenden Marktortprinzip zulässig, wenn sie einen hinreichenden Bezug zum eigenen Souveränitätsbereich aufweisen (Dettling, A&R 2008, 204, 207). Das Marktortprinzip gilt insbesondere auch im internationalen Arzneimittelrecht (Dettling aaO S. 207 f. mwN). Anzuwenden ist danach das Recht des Staates, in dessen Gebiet die Wettbewerbsbeziehungen oder die kollektiven Interessen der Verbraucher beeinträchtigt worden sind oder wahrscheinlich beeinträchtigt werden. Beim Versand von Arzneimitteln an Endverbraucher in Deutschland ist dies das deutsche Preisrecht, weil die Verdrängungswirkungen des nach ihm unerwünschten Preiswettbewerbs im Inland auftreten. Die Freistellung allein der ausländischen Versandapotheken vom deutschen Preisrecht würde dessen Regelungszweck nicht zuletzt deshalb besonders stark beeinträchtigen, weil die im Inland ansässigen Apotheken nach dem für sie geltenden Recht auf einen solchen Preiswettbewerb nicht eingehen dürfen und die im Ausland ansässigen Anbieter schon wegen des Ortes ihrer Niederlassung keine flächendeckende Akutversorgung im Notfall gewährleisten können (Mand, PharmR 2008, 582, 585). Unter diesen Umständen kann dem Umstand, dass die beim grenzüberschreitenden Versandhandel zur Bestellung angebotenen Arzneimittel erst nach Vertragsabschluss ins Inland gelangen und die Apotheke sich im Ausland befindet und dort nach dem jeweiligen nationalen Recht tätig wird, keine maßgebliche Bedeutung zukommen (aA Diekmann/Idel, APR 2009, 93, 94). Der hier zu beurteilende Sachverhalt unterscheidet sich insoweit auch nicht wesentlich von demjenigen, der dem in BGHZ 154, 110 abgedruckten Urteil des VII. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs zugrunde gelegen hat; denn im einen wie im anderen Fall wird ein Produkt vom Ausland aus auf einem inländischen Markt angeboten, auf dem die Preise gebunden sind (aA Diekmann/Idel aaO).

d) Anders als die Honorarordnung für Architekten und Ingenieure enthält das Arzneimittelgesetz in § 73 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a AMG im Übrigen sogar eine einseitige Kollisionsnorm, die die Anwendung des deutschen Arzneimittelpreisrechts für den vorliegend zu beurteilenden Sachverhalt ausdrücklich anordnet. Nach der genannten Bestimmung müssen ausländische Apotheken, die Arzneimittel an Endverbraucher in Deutschland versenden wollen, zum einen über eine deutsche oder eine dem deutschen Recht entsprechende Versandhandelserlaubnis verfügen und zum anderen die Arzneimittel entsprechend den deutschen Vorschriften zum Versandhandel oder zum elektronischen Handel versenden. Nach Ansicht des Bundessozialgerichts zielt diese Vorschrift allerdings nicht darauf ab, das Preisrecht des Arzneimittelgesetzes für ausländische Versandhandelsapotheken zu exportieren; vielmehr solle sie lediglich die tatsächlich bestehenden Sicherheitsstandards für den Versandhandel und den elektronischen Handel mit Arzneimitteln auf einem Niveau absichern, das dem nach deutschem Recht bestehenden Niveau entspreche (BSGE 101, 161 Rn. 27). Die Vorschrift des § 73 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a AMG hat jedoch auch die Funktion sicherzustellen, dass von inländischen Endverbrauchern oder für diese von inländischen gesetzlichen Krankenversicherungen abgeschlossene Kaufverträge über im Wege des grenzüberschreitenden Versandhandels zu importierende Arzneimittel den im Arzneimittelgesetz vorgesehenen Bestimmungen über die Verschreibungspflicht und die Preisbildung unterstehen.

Es kommt hinzu, dass ausländische Apotheken, die über keine Erlaubnis verfügen, die dem deutschen Apothekenrecht im Hinblick auf die Vorschriften zum Versandhandel entspricht, nach dieser Bestimmung über eine deutsche Versandhandelserlaubnis verfügen und bei deren Beantragung nach § 11a Satz 1 Nr. 1 ApoG zusichern müssen, dass der Versand aus einer öffentlichen Apotheke zusätzlich zu dem üblichen Apothekenbetrieb und nach den dafür geltenden Vorschriften erfolgen wird, wobei zu diesen Vorschriften auch das Preisrecht zählt (Cyran/Rotta, Apothekenbetriebsordnung, § 17 Rn. 438 f. [Stand: April 2010]; Dettling, A&R 2008, 204, 208; Mand, PharmR 2008, 582, 584). Da es aber keinen Sinn ergäbe, die Beachtung der deutschen Preisvorschriften davon abhängig zu machen, ob eine ausländische Apotheke über eine Versandhandelsbefugnis nach ihrem nationalen Recht oder über eine entsprechende deutsche Erlaubnis verfügt, lässt sich diese Regelung nur damit erklären, dass die Arzneimittelpreisverordnung bei Lieferungen an Verbraucher in Deutschland insgesamt anwendbar ist (Mand aaO; Dettling, A&R 2008, 204, 209).

e) Für die vom Senat vertretene Ansicht spricht weiterhin die Entstehungsgeschichte des Gesetzes (aA Diekmann/Idel, APR 2009, 93, 94). Dieses sieht entgegen Art. 16 Nr. 4 des von den Fraktionen SPD und Bündnis 90/DIE GRÜNEN zunächst vorgelegten Entwurfs eines Gesetzes zur Modernisierung des Gesundheitssystems (BT-Drucks. 15/1170 S. 52 und 139) für den grenzüberschreitenden Handel mit Arzneimitteln bewusst gerade keine Ausnahme von der Preisbindung vor (Dettling, A&R 2008, 204, 208 f.). Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass Arzneimittel gemäß § 73 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a AMG entsprechend den deutschen Vorschriften zum Versandhandel versandt werden müssen. Das Bundessozialgericht (BSGE 101, 161 Rn. 27) hat sich zur Begründung seiner gegenteiligen Auffassung allerdings auch auf die Senatsentscheidung "Versandhandel mit Arzneimitteln" (BGH, Urteil vom 20. Dezember 2007 - I ZR 205/04, GRUR 2008, 275 Rn. 26 = WRP 2008, 356) gestützt. Der Senat hat sich dort jedoch allein zu der Frage geäußert, welche Voraussetzungen das nationale Recht der Versandapotheke bei einem grenzüberschreitenden Arzneimittelversandhandel an Endverbraucher erfüllen muss, damit es dem deutschen Apothekenrecht im Hinblick auf die Vorschriften zum Versandhandel entspricht.

f) Die vom Senat vertretene Beurteilung steht nicht in Widerspruch zum primären Gemeinschaftsrecht. Dabei kann unterstellt werden, dass die deutsche Regelung zur Preisbindung bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln eine Maßnahme gleicher Wirkung i.S. von Art. 34 AEUV darstellt. Die Regelung ist nämlich jedenfalls nach Art. 36 AEUV gerechtfertigt.

Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist bei der Prüfung, ob die Mitgliedstaaten die Bestimmungen des primären Gemeinschaftsrechts über die Verkehrsfreiheiten im Rahmen ihrer Zuständigkeit gemäß Art. 168 Abs. 7 AEUV für den Erlass von Vorschriften zur Organisation von Diensten im Gesundheitswesen wie der öffentlichen Apotheken beachtet haben, zu berücksichtigen, dass die Gesundheit und das Leben von Menschen den höchsten Rang unter den in Art. 36 AEUV geschützten Gütern und Interessen einnehmen und dass die Mitgliedstaaten zu bestimmen haben, auf welchem Niveau sie den Schutz der Gesundheit der Bevölkerung gewährleisten wollen und wie dies erreicht werden soll. Da sich das Niveau von einem Mitgliedstaat zum anderen unterscheiden kann, steht den Mitgliedstaaten insoweit ein Wertungsspielraum zu (vgl. EuGH, Urteil vom 19. Mai 2009 - C-171 und 172/07, Slg. 2009, I-4171 = NJW 2009, 2112 Rn. 18 f. - Apothekenkammer u.a./Saarland, mwN). Wenn eine Ungewissheit hinsichtlich des Vorliegens oder der Bedeutung der Gefahren für die menschliche Gesundheit bleibt, können die Mitgliedstaaten Schutzmaßnahmen treffen, ohne warten zu müssen, bis der Beweis für das tatsächliche Bestehen dieser Gefahren vollständig erbracht ist. Außerdem können sie diejenigen Maßnahmen treffen, die eine Gefahr für die Gesundheit der Bevölkerung einschließlich einer Gefahr für die sichere und qualitativ hochwertige Arzneimittelversorgung der Bevölkerung weitestgehend verringern (EuGH, NJW 2009, 2112 Rn. 30 - Apothekenkammer u.a./Saarland). In diesem Zusammenhang ist der ganz besondere Charakter der Arzneimittel zu berücksichtigen, die der Gesundheit aufgrund ihrer therapeutischen Wirkungen bei nicht veranlasster oder falscher Einnahme schweren Schaden zufügen können, ohne dass sich der Patient dessen bei ihrer Verabreichung bewusst ist (EuGH, NJW 2009, 2112 Rn. 31 f. - Apothekenkammer u.a./Saarland). Ein entsprechender Fehlgebrauch von Arzneimitteln führt zudem zu einer Verschwendung finanzieller Mittel, die umso schädlicher ist, als der Pharmabereich erhebliche Kosten verursacht und wachsenden Bedürfnissen entsprechen muss, die für die Gesundheitspflege verfügbaren finanziellen Mittel aber nicht unbegrenzt sind (EuGH, NJW 2009, 2112 Rn. 33 - Apothekenkammer u.a./Saarland).

Nach dieser Rechtsprechung des Gerichtshofs hat der deutsche Gesetzgeber den ihm insoweit zuerkannten Wertungsspielraum nicht dadurch überschritten, dass er verschreibungspflichtige Arzneimittel im Interesse der sicheren und qualitativ hochwertigen Arzneimittelversorgung der Bevölkerung einer umfassenden und damit auch den grenzüberschreitenden Versandhandel erfassenden Preisbindung unterstellt hat, um so der Gefahr eines ruinösen Preiswettbewerbs unter Apotheken entgegenzuwirken. Es ist weder von der Beklagten vorgetragen worden noch sonst ersichtlich, welches konkrete System bei geringeren Beschränkungen der Warenverkehrsfreiheit dieser Gefahr ebenso wirksam entgegenwirken könnte (vgl. OLG München, A&R 2009, 184, 187). Gegenteiliges ergibt sich auch nicht aus dem Urteil des Gerichtshofs vom 11. Dezember 2003 (C-322/01, Slg. 2003, I-14887 = NJW 2004, 131 - Deutscher Apothekenverband e.V./0800 DocMorris NV u.a.). Der Gerichtshof hat sich dort an der Feststellung, dass das Verbot des Versandhandels mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln in Deutschland (auch) durch Gründe der Intaktheit des nationalen Gesundheitswesens gerechtfertigt sein kann, nur deshalb gehindert gesehen, weil der Kläger in dem dem Vorlageverfahren zugrunde liegenden Ausgangsverfahren keine Argumente für die Erforderlichkeit der Arzneimittelpreisbindung vorgetragen hatte (vgl. EuGH, NJW 2004, 131 Rn. 123 - Deutscher Apothekenverband e.V./0800 DocMorris NV u.a.).

g) Die Erstreckung der Arzneimittelpreisbindung auf in anderen Mitgliedstaaten ansässige Versandapotheken, die sich an Endverbraucher im Inland wenden, ist schließlich auch mit dem sekundären Gemeinschaftsrecht und insbesondere mit der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel vereinbar. Zwar wird im Schrifttum die Ansicht vertreten, aus den Erwägungsgründen 2, 3, 30 und 38 dieser Richtlinie folge die Unzulässigkeit einer solchen Erstreckung (Diekmann/Idel, APR 2009, 93, 95 f.). Die genannten Erwägungsgründe sind dafür aber nicht aussagekräftig. Dies gilt insbesondere für den Erwägungsgrund 38 der Richtlinie. Dieser spricht die Möglichkeit an, Großhändlern im Interesse des Schutzes der Volksgesundheit bestimmte gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen aufzuerlegen. Aus dem Umstand, dass die Preisbindung von Apotheken dort nicht genannt ist, kann nicht im Umkehrschluss deren Unzulässigkeit abgeleitet werden. Die dort gebrauchten einleitenden Wörter "Einige Mitgliedstaaten erlegen Großhändlern …" lassen erkennen, dass mit dem Erwägungsgrund lediglich bestimmte Regelungen einiger Staaten herausgegriffen und beurteilt werden sollten. Eine Aussage zur Preisfestsetzungskompetenz der Mitgliedstaaten enthält erst Art. 4 Abs. 3 der Richtlinie 2001/83/EG. Diese Vorschrift bestimmt jedoch ausdrücklich, dass die Zuständigkeiten der Behörden der Mitgliedstaaten hinsichtlich der Festsetzung der Arzneimittelpreise durch die Richtlinie 2001/83/EG unberührt bleiben (vgl. OLG Hamburg, A&R 2009, 87, 90 f. = APR 2009, 32; OLG München, GRUR-RR 2010, 53, 55).

Bornkamm                                 Büscher                               Schaffert

                      Bergmann                               Kirchhoff

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