Baden Würtemberg: Karlsruhe

Urteil vom BGH

Entscheidungsdatum: 22.04.2010
Aktenzeichen: I ZR 29/09

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 29. Januar 2009 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

Der Beklagte vertreibt Grabmale und andere für die Ausstattung von Grabstätten benötigte Gegenstände.

Nachdem am 26. September 2007 in Tageszeitungen in G. eine von einer Frau K. aufgegebene Todesanzeige für einen ihrer Angehörigen erschienen war, wandte sich der Beklagte mit folgendem am selben Tag verfasstem Schreiben an Frau K.:

Sehr geehrte Frau K.

Durch Informanten wurde uns mitgeteilt, dass unsere Mitbewerber und Bestatter, um zum schnelleren Verkaufsabschluss zu kommen, das Gerücht verbreiten, wir hätten unsere Steinmetzwerkstatt beim Gewerbeamt, Handwerkskammer sowie Finanzamt abgemeldet.

Dieses entspricht nicht der Wahrheit.

Jedoch möchten wir Ihnen mitteilen, dass wir nach wie vor für unsere Kunden verfügbar sind.

Mit freundlichen Grüßen

Klägerin ist die Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs e.V. Sie sieht es als unzumutbare und damit auch wettbewerbswidrige Belästigung an, wenn die Hinterbliebenen innerhalb der ersten vier Wochen nach dem Todesfall zu Werbezwecken angeschrieben werden.

Die Klägerin hat - soweit für die Revision noch von Interesse - beantragt,

den Beklagten unter Androhung näher bezeichneter Ordnungsmittel zu verurteilen, es zu unterlassen, im Wettbewerb handelnd Angehörige von Verstorbenen in einem Zeitraum von vier Wochen nach dem Todesfall zum Zwecke der Werbung anzuschreiben.

Das Landgericht hat eine Wartezeit von drei Wochen ab dem Todesfall als angemessen angesehen und der Klage deshalb in diesem Umfang stattgegeben und sie im Übrigen abgewiesen.

Im zweiten Rechtszug hat der Beklagte seinen Klageabweisungsantrag weiterverfolgt. Das Berufungsgericht hat eine Frist von zwei Wochen ab dem Todesfall, innerhalb deren einschlägige Werbeschreiben unabhängig von ihrer Aufmachung und ihrem Inhalt zu unterbleiben hätten, für angemessen erachtet und daher die Unterlassungsverpflichtung des Beklagten unter Zurückweisung seines weitergehenden Rechtsmittels entsprechend beschränkt (OLG Frankfurt a.M. OLG-Rep 2009, 563).

Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision, deren Zurückweisung der Beklagte beantragt, erstrebt die Klägerin die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

Gründe

I. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung, soweit es eine Wartezeit von zwei Wochen als angemessen angesehen hat, wie folgt begründet:

Bei der gebotenen zeitlichen Abgrenzung sei zu berücksichtigen, dass die Hinterbliebenen auf den Trauerfall bezogene Werbebemühungen zunächst als pietätlos und ungehörig empfänden, ihr Verständnis für diese aber mit wachsendem zeitlichem Abstand zunehmen werde. Auch wenn die von einem einzelnen Werbeschreiben ausgehende Belästigung für sich allein gesehen noch hinnehmbar erscheinen möge, bestehe doch die Gefahr, dass Mitbewerber ebenfalls geneigt seien, möglichst frühzeitig nach Bekanntwerden eines Todesfalles auf sich aufmerksam zu machen, um wirtschaftlich nicht ins Hintertreffen zu geraten. Es sei aber auch dem durch die Berufsausübungsfreiheit geschützten Interesse der Anbieter von Grabmalen an gezielter werblicher Ansprache Rechnung zu tragen, die aus deren Sicht möglichst frühzeitig erfolgen solle, um die geschäftliche Entscheidung des Werbeadressaten noch beeinflussen zu können. Eine Wartefrist von zwei Wochen trage den sich gegenüberstehenden Interessen angemessen Rechnung. Der Hinweis der Klägerin, das Aufstellen eines Grabsteins für ein Erdgrab sei aus statischen Gründen ohnehin erst nach etwa sechs Monaten möglich, rechtfertige keine entscheidende Relativierung des geschäftsbezogenen Interesses an einer möglichst frühzeitigen Werbung. Im Falle einer Urnenbestattung könne ein Grabmal wesentlich früher aufgestellt werden. Auch bei einer Erdbestattung könnten die auf die Aufstellung und die Gestaltung eines Grabsteins bezogenen Entscheidungen schon alsbald nach dem Todesfall getroffen oder jedenfalls in eine bestimmte Richtung gelenkt werden.

II. Diese Beurteilung hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung stand. Das Berufungsgericht hat ohne Rechtsfehler angenommen, dass ein Unternehmer, der Grabmale und andere für die Ausstattung von Grabstätten benötigte Gegenstände vertreibt, die Angehörigen eines Verstorbenen durch ein (frühestens) zwei Wochen nach dem Todesfall versandtes Werbeschreiben nicht i.S. von § 7 Abs. 1 UWG 2004, § 7 Abs. 1 Satz 1 UWG 2008 unzumutbar belästigt.

1. Das Rechtsmittel der Klägerin ist allerdings nicht schon deshalb unbegründet, weil das beanstandete Werbeschreiben des Beklagten - wie dieser in den Vorinstanzen geltend gemacht hat - keine nach §§ 3, 7 Abs. 1 UWG 2004, § 7 Abs. 1 Satz 1 UWG 2008 wettbewerbsrechtlich unzulässige unzumutbare Belästigung seiner Adressantin darstellte.

a) Im Streitfall steht zur Begründung des auf Wiederholungsgefahr gestützten Unterlassungsanspruchs ein Verhalten des Beklagten vom Februar 2007 in Rede. Dieser Anspruch ist nur begründet, wenn auf der Grundlage des zum Zeitpunkt der Entscheidung geltenden Rechts Unterlassung verlangt werden kann. Zudem muss die Handlung zum Zeitpunkt ihrer Begehung wettbewerbswidrig gewesen sein, weil es andernfalls an der Wiederholungsgefahr fehlt (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urt. v. 22.4.2009 - I ZR 14/07, GRUR 2009, 1180 Tz. 23 = WRP 2009, 1510 - 0,00 Grundgebühr, m.w.N.).

Beide Voraussetzungen sind hier erfüllt. Das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb vom 3. Juli 2004 (UWG 2004), das zur Zeit der von der Klägerin beanstandeten Verhaltensweise der Beklagten gegolten hat, ist zwar 2008 geändert worden. Diese Gesetzesänderung, die der Umsetzung der Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken in das deutsche Recht diente, ist für die Beurteilung des Streitfalles jedoch ohne Bedeutung. Das beanstandete Verhalten der Beklagten ist sowohl eine Wettbewerbshandlung nach § 2 Abs. 1 Nr. 1, § 3 UWG 2004 als auch eine geschäftliche Handlung nach § 2 Abs. 1 Nr. 1, § 3 des nunmehr geltenden UWG 2008. Soweit es Marktteilnehmer in unzumutbarer Weise belästigt, ist es sowohl nach §§ 3, 7 Abs. 1 UWG 2004 (vgl. BGH, Urt. v. 16.11.2006 - I ZR 191/03, GRUR 2007, 607 Tz. 23 = WRP 2007, 775 - Telefonwerbung für "Individualverträge"; Köhler in Köhler/Bornkamm, UWG, 28. Aufl., § 7 Rdn. 15; Mankowski, WRP 2008, 15 ff.) als auch nach § 7 Abs. 1 Satz 1 UWG 2008 unzulässig.

Die Richtlinie 2005/29/EG hat allerdings in ihrem Anwendungsbereich (vgl. Art. 3 der Richtlinie) zu einer vollständigen Harmonisierung des Lauterkeitsrechts geführt (vgl. Art. 4 der Richtlinie). Sie regelt daher die Frage der Unlauterkeit von Geschäftspraktiken im Geschäftsverkehr zwischen Unternehmern und Verbrauchern im Grundsatz abschließend (vgl. BGH, Urt. v. 4.2.2010 - I ZR 66/09, GRUR 2010, 852 Tz. 15 = WRP 2010, 1143 - Gallardo Spyder). Nach ihrem Erwägungsgrund 7 Satz 3 bezieht sich die Richtlinie 2005/29/EG allerdings nicht auf die gesetzlichen Anforderungen in Fragen der guten Sitten und des Anstands, die in den Mitgliedstaaten sehr unterschiedlich sind. So können Geschäftspraktiken wie beispielsweise das Ansprechen von Personen auf der Straße zu Verkaufszwecken in manchen Mitgliedstaaten aus kulturellen Gründen unerwünscht sein (Erwägungsgrund 7 Satz 4). Die Mitgliedstaaten sind daher durch die Richtlinie grundsätzlich nicht gehindert, weiterhin Geschäftspraktiken aus Gründen der guten Sitten und des Anstands zu verbieten, auch wenn diese Praktiken die Wahlfreiheit des Verbrauchers nicht beeinträchtigen (Köhler in Köhler/Bornkamm aaO § 7 Rdn. 9).

b) Das Berufungsgericht hat bei der Beurteilung der Frage, ob die beanstandete Werbung des Beklagten eine unzumutbare Belästigung darstellt, zutreffend das insoweit durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützte Interesse der betroffenen Hinterbliebenen, von Werbung verschont zu bleiben, gegen das durch Art. 5 Abs. 1, Art. 12 GG geschützte Interesse des Beklagten wie auch seiner Mitbewerber, ihre jeweiligen gewerblichen Leistungen durch Werbung zur Geltung bringen zu können, gegeneinander abgewogen (vgl. Köhler in Köhler/Bornkamm aaO § 7 Rdn. 22 m.w.N.). Es hat dabei mit Recht die Sichtweise eines durchschnittlich empfindlichen Adressaten dieser Werbung zugrunde gelegt (vgl. OLG München GRUR-RR 2008, 355, 356 = WRP 2008, 380; Fezer/Mankowski, UWG, 2. Aufl., § 7 Rdn. 61, jeweils m.w.N.).

Das Berufungsgericht hat angenommen, ein Werbeschreiben für Grabausstattungen sei kurz nach einem Todesfall geeignet, die Gefühle der Hinterbliebenen zu verletzen, da diese es als pietätlos empfänden, wenn unmittelbar nach dem Verlust eines nahen Angehörigen der Trauerfall zum Gegenstand geschäftlicher Bemühungen gemacht werde. Diese Beurteilung lässt keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Beklagten erkennen. Sie trägt dem Umstand Rechnung, dass es für Trauernde in der Tat eine Zumutung darstellt, wenn sie als unmittelbare Reaktion auf eine von ihnen veröffentlichte Todesanzeige ein Werbeschreiben für eine von ihnen gegebenenfalls später benötigte Grabausstattung erhalten. Dasselbe gilt für die Beurteilung des Berufungsgerichts, eine Missachtung der Gefühle der Hinterbliebenen könne insoweit auch für sich allein ausreichen, weil der Schutz der Intimsphäre Vorrang vor dem wirtschaftlichen Gewinnstreben habe und werbliche Maßnahmen im Hinblick auf einen Trauerfall daher in gewissem Umfang zurückzutreten hätten (vgl. BGH, Urt. v. 1.2.1967 - Ib ZR 3/65, GRUR 1967, 430, 431 - Grabsteinaufträge I; BGHZ 56, 18, 19 ff. - Grabsteinaufträge II).

2. Ohne Erfolg wendet sich die Revision dagegen, dass das Berufungsgericht die Einhaltung einer Wartefrist von zwei Wochen als zwar geboten, aber auch ausreichend angesehen hat.

a) Das Berufungsgericht hat - von der Revision unbeanstandet - zutreffend im Verhalten des Beklagten zwar eine Missachtung, nicht aber eine unlautere Ausnutzung der Gefühle der Hinterbliebenen gesehen. Bei dem Schreiben des Beklagten handelte es sich um eine sachlich gehaltene schriftliche Werbung ohne in diesem Zusammenhang unangebrachte Beileidsbezeugungen. Mit Recht ist das Berufungsgericht auch davon ausgegangen, dass dem Beklagten die beanstandete Werbung anders als ein diesem Werbezweck dienendes unaufgefordertes Aufsuchen der Hinterbliebenen in ihrem Privatbereich nur auf Zeit verwehrt werden kann (vgl. BGHZ 56, 18, 21 - Grabsteinaufträge II).

b) Die Revision meint allerdings, nach den zutreffenden Ausführungen des Landgerichts könne aufgrund der Lebenserfahrung frühestens in einem zeitlichen Abstand von drei Wochen davon ausgegangen werden, dass die Hinterbliebenen den ersten Schock des Todesfalls überwunden hätten und wieder mit der Bewältigung der täglich anfallenden Geschäfte und der infolge des Todesfalls anstehenden spezifischen Aufgaben befasst seien. Eine Schonfrist von drei Wochen dürfe nicht unterschritten werden, weil ein solcher Zeitraum benötigt werde, um den Verlust eines Menschen zu betrauern. Die Werbung eines Grabsteinunternehmens für die von ihm angebotenen Waren und Dienstleistungen vor Ablauf dieser Mindestschonfrist nutze die seelische Verfassung der Hinterbliebenen aus und greife daher in unzulässiger Weise in deren Intimsphäre ein.

Mit diesen Ausführungen setzt die Revision der vom Berufungsgericht in tatrichterlicher Würdigung des Sachverhalts getroffenen Bewertung jedoch lediglich ihre abweichende eigene entgegen, ohne dass sie dabei einen Rechtsfehler aufzuzeigen vermag. Dasselbe gilt, soweit die Revision aus anderen instanzgerichtlichen Entscheidungen, denen mehr oder weniger vergleichbare Sachverhalte zugrunde lagen (OLG Düsseldorf WRP 1982, 274; LG Hamburg WRP 1982, 362; LG Konstanz WRP 2003, 861), abzuleiten versucht, dass eine Wartefrist von nur zwei Wochen zu unzumutbaren Belästigungen führte.

c) Im Übrigen besteht zwischen der beanstandeten Werbung und einem nach der Senatsentscheidung "Grabsteinaufträge II" auf Dauer unzulässigen Vertreterbesuch in solchen Angelegenheiten nicht nur ein gradueller Unterschied. Den unzulässigen Eingriff in die Intimsphäre hat der Senat dort nicht in der durch jedwede Art von Werbung für Grabmalaufträge bestehenden Belästigung, sondern in dem von einem Vertreterbesuch in einer solchen Angelegenheit stets ausgehenden Druck gesehen (BGHZ 56, 18, 20 f.). Demgegenüber geht von einem Werbeschreiben wie dem in Rede stehenden kein auch nur annähernd vergleichbarer Druck aus. Der Adressat kann das Schreiben, wenn es ihm unpassend erscheint, ohne weiteres wegwerfen oder, wenn er eine solche Werbung zwei Wochen nach dem Todesfall für verfrüht hält, zumindest beiseite legen. Die Revisionserwiderung weist daher mit Recht darauf hin, dass die Achtung vor der Intimsphäre des Trauernden es lediglich gebietet, mit einer Grabsteinwerbung der hier in Rede stehenden Art so lange zu warten, bis die Bestattungs- und Trauerfeierlichkeiten üblicherweise durchgeführt worden sind und der Hinterbliebene sich ohnehin den durch den Todesfall veranlassten Angelegenheiten zuwenden wird; diese Voraussetzungen aber werden jedenfalls im Regelfall zwei Wochen nach dem Todesfall erfüllt sein.

Das Berufungsgericht hat ferner mit Recht den Vortrag der Klägerin als nicht maßgeblich angesehen, das Aufstellen eines Grabsteins für ein Erdgrab sei aus statischen Gründen erst etwa sechs Monate nach der Beerdigung möglich. Diesem Gesichtspunkt kommt nicht nur bei Urnenbestattungen sowie bei Erdbestattungen, bei denen die Hinterbliebenen mit der Planung der Grabstätte oder entsprechenden Vorplanungen umgehend beginnen wollen, keine entscheidende Bedeutung zu. Denn die beanstandete Werbung wird auch von Hinterbliebenen, die mit einer solchen Planung zunächst noch zuwarten möchten, bis die Aufstellung eines Grabmals überhaupt möglich erscheint, nach der Lebenserfahrung zumindest nicht als ungebührliche Bedrängung verstanden werden.

III. Die Revision der Klägerin ist danach mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.

Bornkamm     

Pokrant     

Büscher

Schaffert     

Koch   

© 2004-2024 · IT-Recht Kanzlei