Urteil vom OLG Oldenburg
Entscheidungsdatum: 05.09.2008
Aktenzeichen: 6 U 189/07
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Osnabrück vom 16.11.2007 wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Berufung werden dem Kläger auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I.
Der Kläger macht Schadensersatz und Schmerzensgeldansprüche gegen den beklagten Landkreis auf Grund eines Fahrradunfalls geltend.
Seiner Behauptung zufolge befuhr er am 25.09.2006 gegen 5.50 Uhr bei Dunkelheit erstmals den Fahrradweg neben der B... Straße im Außenbereich der Stadt M... mit seinem Rennrad mit eingeschalteter Fahrradbeleuchtung. Der Fahrradweg verläuft eine längere Strecke parallel rechts neben der Straße. rechts neben dem Radweg verläuft wiederum ein Graben. In dem Bereich einer asphaltierten Feldzufahrt schwenkt der Radweg über die Zufahrt hinweg nach rechts, der Graben setzt sich hingegen jenseits der Zufahrt zwischen Straße und Radweg in gerader Verlängerung des Radwegverlaufs vor der Zufahrt fort. Der Kläger hat behauptet, er sei mit etwa 20 km/h gefahren und sei trotz Versuchs einer Vollbremsung geradeaus in den Graben gefahren, wo er gestürzt sei und sich Verletzungen im Bereich der Hals und Brustwirbelsäule zugezogen habe. Er verlangt ein Schmerzensgeld, Ersatz der Beschädigungen an seinem Fahrrad, an seiner Hose, die Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten sowie Feststellung der Ersatzpflicht hinsichtlich weiteren materiellen und immateriellen Schadens.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, weil der Beklagte keine Verkehrssicherungspflicht verletzt habe. Auch für Radfahrer gelte das Sichtfahrgebot aus § 3 Abs. 1 Satz 4 StVO.
Hiergegen wendet sich die Berufung des Klägers, der insbesondere die Auffassung vertritt, sein Beweisangebot "Sachverständigengutachten" in dem nachgelassenen Schriftsatz sei nicht verspätet gewesen. Der Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil.
II.
Die Berufung ist nicht begründet.
Der Beklagte hat keine Verkehrssicherungspflicht verletzt. Ein (Straßen) Verkehrssicherungspflichtiger muss nicht für alle denkbaren Möglichkeiten eines Schadenseintritts Vorsorge treffen. erforderlich sind vielmehr (nur) die Maßnahmen, die nach den Sicherheitserwartungen des jeweiligen Verkehrs geeignet sind, solche Gefahren von Dritten abzuwenden, die bei bestimmungsgemäßer und nicht ganz fernliegender bestimmungswidriger Benutzung drohen, und die dem Verkehrssicherungspflichtigen – auch wirtschaftlich – zumutbar sind (vgl. Palandt/Sprau, BGB, 67. Aufl. 2008, § 823 Rn. 51 m.w.N.). Nach diesen Maßstäben ist die wechselseitige Verschwenkung des Radwegs und des Grabens im Bereich der Feldzufahrt bei Dunkelheit für einen Fahrradfahrer, der mit normaler Geschwindigkeit und eingeschalteter Fahrradbeleuchtung am rechten Fahrbahnrand fährt, nicht so gefahrenträchtig, dass das Unterlassen eines Warnhinweises – etwa in Form einer Bake – als Verletzung der Verkehrssicherungspflicht anzusehen ist.
Es ist nämlich allgemein bekannt und entspricht der Lebenserfahrung, dass Fahrradwege zahlreiche Kurven und Verschwenkungen aufweisen, auch wenn sie grundsätzlich neben einer Straße verlaufen. Besonders außerhalb des Siedlungszusammenhangs ist stets damit zu rechnen, dass der Radweg um Bäume oder andere Hindernisse herumgeführt und zu diesem Zweck verschwenkt wird. Es würde die Pflichten der jeweils Straßenverkehrssicherungspflichtigen vollkommen überspannen, wenn vor jeder derartigen Verschwenkung ein Warnhinweis erfolgen müsste.
Warnschilder oder Baken müssen vielmehr nur an besonders gefahrträchtigen Stellen aufgestellt werden, insbesondere dort, wo Fahrradfahrern beim Übersehen der Verschwenkung schwere Verletzungen drohen. derartige Fälle betreffen die von dem Kläger zitierten Entscheidungen.
Hier bestand weder auf Grund der vorangegangenen Streckenführung ein besonderer Anlass für den Kläger, darauf zu vertrauen, dass der Fahrradweg ohne Verschwenkung stets parallel zur Straße verlaufen würde, noch stellte der hinter der Verschwenkung in gerader Fortsetzung des Fahrradwegs gelegene flache grasbewachsene Graben eine Gefahrensituation dar, deren Nichterkennen bei dem betroffenen Fahrradfahrer Verletzungen hervorzurufen drohte, die sich wesentlich von denjenigen bei einem sonstigen Abkommen vom asphaltierten Weg unterschieden.
In diesem Zusammenhang hat das Landgericht zu Recht auf das aus § 3 Abs. 1Satz 4 StVO folgende Sichtfahrgebot verwiesen. Allerdings stellt die eventuelle Verletzung des Sichtfahrgebots durch den Kläger einen ein etwaiges Mitverschulden begründenden Umstand dar, dessen Vorliegen demgemäß der Beklagte zu beweisen hätte. Das Sichtfahrgebot kann aber herangezogen werden, um den Umfang der Sicherungspflichten des Beklagten näher einzugrenzen. Der Beklagte durfte darauf vertrauen, dass Fahrradfahrer bei Dunkelheit ihre Geschwindigkeit so herabsetzen, dass sie die Rechtsverschwenkung des Radwegs wahrnehmen und rechtzeitig darauf reagieren können. Die Unfallstelle war - auch ohne die jetzt aufgestellte Bake – nicht vergleichbar schlecht zu erkennen wie diejenige in dem von dem Kläger zitierten Fall, den das Oberlandesgericht Celle zu entscheiden hatte. Anders als in dem dortigen Fall (Urteil vom 20.10.1999 – 9 U 77/99 ) war die Verschwenkung hier bei Tageslicht gut zu erkennen. Andere Faktoren als die Dunkelheit beeinträchtigten die Erkennbarkeit bei Nacht nicht. Der Umstand, dass im Bereich der Verschwenkung eine Feldzufahrt den Radweg kreuzt, erschwerte die Erkennbarkeit der Verschwenkung jedenfalls dann nicht, wenn sich der herannahende Fahrradfahrer entsprechend dem Rechtsfahrgebot gemäß § 2 Abs. 2 StVO auf dem Fahrradweg rechts hielt. Fahrradfahrer, die sich vorschriftsmäßig am rechten Rand des Fahrradwegs orientierten, konnten die Verschwenkung auch im Dunkeln nicht übersehen. Aus diesem Grund bedurfte es auch nicht der Einholung des Sachverständigengutachtens zu der generellen Erkennbarkeit der Verschwenkung im Dunkeln, so dass es nicht darauf ankommt, dass das Landgericht den diesbezüglichen Beweisantritt nicht als verspätet hätte zurückweisen dürfen. Zwar muss ein Verkehrssicherungspflichtiger in gewissem Umfang den Verkehr auch vor Fehlern schützen, die häufig vorkommen, naheliegend sind und mit denen erfahrungsgemäß zu rechnen ist (vgl. BGH, NJW 1980, S. 2194). Der Beklagte durfte jedoch darauf vertrauen, dass Fahrradfahrer, die den Fahrradweg nicht kannten, bei Dunkelheit schon aus eigenem Antrieb rechts und auf Sicht fuhren, um fahrradwegtypische Verschwenkungen und andere Hindernisse nicht zu übersehen.
Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713 ZPO. § 26 Nr. 8 EGZPO.
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