Beschluss vom Thüringer Oberlandesgericht
Entscheidungsdatum: 23.06.2009
Aktenzeichen: 1 Ws 222/09
Tenor
1. Die sofortige Beschwerde wird verworfen.
2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen der Beschuldigten S und W trägt die Staatskasse.
Gründe
I.
Am 4.11.2008 erhob die Staatsanwaltschaft Erfurt Anklage gegen die vier Beschuldigten zum Landgericht Meiningen.
Dem Angeschuldigten W legt sie zur Last, am 12.3.2003 oder kurz danach einige rückdatierte Schriftstücke in die Vergabeakte für die Errichtung einer Restabfallbehandlungsanlage des Zweckverbands Abfallwirtschaft Südwestthüringen (ZASt) aufgenommen zu haben. Er war beim ZASt beschäftigt und für die Führung der Vergabeakte verantwortlich.
Dem Angeschuldigten S legt sie zur Last, diese Schriftstücke vorbereitet und den Angeschuldigten W veranlasst zu haben, sie zur Akte zu nehmen.
Im einzelnen handelt es sich um sieben Vermerke mit folgendem Inhalt:
- darstellende Zusammenfassung der Besonderen Vertragsbedingungen, datiert auf den 6.6.2001
- Begründung des Verzichts auf neuerliche Eignungsprüfung der Bewerber, datiert auf den 27.3.2002
- Vergabevermerk zu Verhandlungen mit dem Bieter L E und E GmbH (LEE) und deren Ablauf, datiert auf den 8.11.2002
- Vermerk über Verhandlungen mit drei Bietern bezüglich Abweichungen von den Besonderen Vertragsbedingungen, datiert auf den 29.11.2002
- Zusammenfassung der Überlegungen des Verbandsvorsitzenden und des Geschäftsleiters für den Vergabevorschlag, datiert auf den 12.2.2003
- Verhandlungen mit dem Bieter M nach Abschluss der Angebotswertung, datiert auf den 13.2.2003
- Vermerk über Zweifel an der Eignung des Bieters H
Am 14.3.2003 wurde von einem unterlegenen Bieter, der Fa. LEE, bei der Vergabeprüfstelle ein Nachprüfungsantrag gestellt. 6 Leitzordner Vergabeakten, einschließlich der an inhaltlich passenden Stellen einsortierten eben genannten Vermerke, wurden vom ZASt an die Vergabekammer gegeben.
In der Ergänzung der Vergabeakten um die rückdatierten Vermerke sah die Staatsanwaltschaft Erfurt eine Urkundenfälschung, begangen durch den Angeschuldigten W, sowie eine Anstiftung dazu durch den Angeschuldigten S.
Mit dem angegriffenen Beschluss vom 25.3.2009 eröffnete die große Strafkammer beim Landgericht Meiningen das Hauptverfahren gegen die beiden anderen Angeklagten wegen anderer Vorwürfe. Bezüglich der Angeschuldigten W und S lehnte sie die Eröffnung des Hauptverfahrens aus Rechtsgründen ab. In dem angeklagten Vorgang sieht das Landgericht keine strafbare Urkundenfälschung.
Dieser Beschluss wurde der Staatsanwaltschaft Erfurt am 7.4.2009 zugestellt. Am 9.4.2009 ging ihre sofortige Beschwerde hinsichtlich der Ablehnung der Eröffnung des Hauptverfahrens gegen die Angeschuldigten W und S beim Landgericht Meiningen ein.
Die Thüringer Generalstaatsanwaltschaft beantragt in ihrer Stellungnahme vom 4.6.2009, den Beschluss des Landgerichts Meiningen aufzuheben, soweit die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt wurde, und insoweit, also bezüglich der Angeschuldigten S und W, das Hauptverfahren vor der 1. großen Strafkammer beim Landgericht Meiningen zu eröffnen.
II.
Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft ist zwar zulässig, aber nicht begründet. Zu Recht hat die große Strafkammer beim Landgericht Meiningen die Eröffnung des Hauptverfahrens gegenüber den Beschuldigten S und W abgelehnt. Der diesen beiden Beschuldigten mit der Anklage vom 4.11.2008 zur Last gelegte Sachverhalt erfüllt keinen Straftatbestand.
1. Eine oder mehrere Urkundenfälschungen nach § 267 StGB liegen nicht vor.
a) Es wurden keine unechten Urkunden hergestellt.
Es kommt insoweit nicht darauf an, ob die mutmaßlich nachträglich eingefügten Schriftstücke inhaltlich richtig sind und das richtige Datum tragen. Inhaltliche Unrichtigkeit oder Rückdatierung führt nicht zu einer Strafbarkeit nach § 267 StGB. Wenn die in Rede stehenden Vermerke zurückdatiert sind, handelt es sich dabei, ebenso wie wenn sie Fakten unzutreffend schildern, um eine schriftliche Lüge, die nicht den Tatbestand des § 267 StGB erfüllt. Denn § 267 StGB schützt nicht den Glauben an die inhaltliche Richtigkeit einer Urkunde, sondern nur an ihre Echtheit, also daran, dass die in der Urkunde enthaltenen Erklärungen vom erkennbaren Aussteller stammen.
Daran besteht hier kein Zweifel. Die Personen, die als Aussteller der Schriftstücke erscheinen, wollten auch tatsächlich deren Urheber sein. Der gesamte Vorgang wurde von den dazu befugten Mitarbeitern des ZASt erstellt. Auch die Ergänzungen stammen von derjenigen Person, die zur Aktenführung befugt war bzw. sind vom Verbandsvorsitzenden oder Geschäftsleiter des ZASt, die sich diese Erklärungen auch zurechnen lassen wollten, unterzeichnet.
Daher scheidet die Herstellung unechter Urkunden aus. Nur die Verfälschung echter Urkunden kommt in Betracht.
b) Auch eine strafbare Verfälschung einer echten Urkunde durch den Aussteller ist nicht gegeben.
Der Aussteller kann eine Urkunde nur verfälschen, indem er sie zu einem Zeitpunkt ändert, in dem er keine (alleinige) Verfügungsbefugnis mehr über die Urkunde hat. Das ist der Fall, wenn ein anderer bereits ein Beweisinteresse an der Urkunde und ihrer unveränderten Erhaltung hat (vgl. nur Fischer, StGB, 56. Aufl., § 267 Rn. 19a m.w.N.). Dabei kommt es nicht darauf an, ob es sich um eine Einzelurkunde handelt oder ob eine Gesamtheit von Urkunden und anderen Papieren eine Gesamturkunde bildet.
Notwendig wäre für eine Verfälschung einer echten Urkunde aber, dass überhaupt schon eine fertige Urkunde vorliegt.
Eine Akte kann Beweis nach außen jeweils nur bezogen auf den Zeitpunkt, zu dem sie nach außen gegeben wird, erbringen. Eine Änderung des einmal an Dritte gegebenen Inhalts ist danach nur zulässig, wenn dies explizit als Änderung vermerkt wird, etwa durch ein Fehlblatt. Denn sonst würde das Beweisinteresse des Dritten vereitelt. Mit Fehlblättern ist es aber auch möglich, etwa aus Personalakten Teile zu entfernen, wenn der Arbeitnehmer die Entfernung verlangen konnte oder durchgesetzt hat (vgl. OLG Düsseldorf NStZ 1981, 25, 26). Insofern schlägt das Argument des Verteidigers, Rechtsanwalt B, das Beispiel der Personalakte zeige, dass Entnahmen aus Akten nicht unter § 267 StGB fielen, nicht durch.
Zum Zeitpunkt der angeklagten Handlung stellte die Vergabeakte aber noch keine fertige, unabänderliche (Gesamt-)Urkunde dar. In Betracht kommt nur die gesamte, nach § 110 GWB der Vergabekammer vorzulegende Vergabeakte als Gesamturkunde. Denn Änderungen an einzelnen Schriftstücken stehen nicht in Rede.
Zwar kann eine Akte grundsätzlich eine Gesamturkunde sein und als solche einen Zustand erreichen, in dem sie soweit fertiggestellt ist – zumindest bezogen auf einen bestimmten Zeitpunkt -, dass eine Verfälschung i.S. des § 267 Abs. 1 StGB möglich ist.
Doch war zum Zeitpunkt der angeklagten Handlung die Vergabeakte nicht in einem Zustand, der Ergänzungen verboten hätte.
Eine Urkundenfälschung scheidet aus, wenn ein Entwurf nach Vorstellung seines Verfassers noch nicht die endgültige Form hat (vgl. BGHSt 3, 82, 85; RGSt 63, 125, 127; 64, 136; LK-Gribbohm, StGB, 11. Aufl., § 267 Rn. 19 m.w.N.). Das war hier der Fall.
Zwar führt die Staatsanwaltschaft in der Anklageschrift aus, es bestehe „von Anfang an ein Interesse“ am unversehrten Bestand der Vergabeakte. Fraglich ist aber, wann der maßgebliche „Anfang“ ist, von dem an keine Ergänzungen der Akte mehr möglich sind. Schon der aus dem lateinischen stammende Begriff „Akte(n)“, der an sich im Plural steht, zeigt, dass es sich bei den Akten um eine Sammlung mehrerer Vorgänge handelt, die nicht von vornherein abgeschlossen sein muss und dies meistens nicht ist. Wenn Akten, wie etwa in Strafsachen vom Eingang bei der Staatsanwaltschaft an üblich, jeweils am Ende chronologisch ergänzt werden, wäre einem Interesse an der vollständigen Nachvollziehbarkeit der Aktenentstehung Rechnung getragen. Die verfahrensgegenständliche Vergabeakte ist aber gerade nicht so aufgebaut. Wie auch bei Strafakten während der polizeilichen Bearbeitung hat zunächst eine Stoffsammlung stattgefunden, die dann geordnet und auf Ordner verteilt abgelegt wurde. Ein in sich abgeschlossener Bestand sollte nach dem Willen der aktenführenden Stelle zum hier maßgeblichen Zeitpunkt noch nicht vorgelegen haben. Die eingefügten Vermerke waren ja gerade das Ergebnis einer internen Abstimmung darüber, was Aktenbestandteil werden sollte.
Bis zu einer Herausgabe an Dritte kann die aktenführende Stelle die Akteninhalte ergänzen, wenn nicht spezielle Regelungen das verbieten. Die Akten können jederzeit noch vervollständigt werden. Ob dabei stets eine streng chronologische Reihenfolge einzuhalten ist, ist eine Frage der jeweiligen Aktenordnung, sofern es eine solche gibt. Ein Verstoß dagegen betrifft eher die inhaltliche Richtigkeit und ist nicht als Urkundenfälschung zu qualifizieren.
Auch in Strafakten wird der von der Polizei gesammelte Stoff zum Zeitpunkt der Abgabe an die Staatsanwaltschaft geordnet, aber nicht unbedingt in der Reihenfolge der Entstehung. Verbreitet ist auch in Gerichtsakten etwa Zustellungsnachweise nicht chronologisch, sondern hinter einer Abschrift des jeweils zugestellten Schriftstücks einzuheften.
Wenn ein richtig datiertes Schriftstück versehentlich nicht gleich eingeordnet wird, sondern dies erst z.B. 3 Wochen später gefunden und dann vom berechtigten Aussteller an der chronologisch richtigen Stelle einsortiert wird, liegt darin keine Urkundenfälschung. Falls das Schriftstück überhaupt kein Datum trägt, wird man das nicht anders sehen können, wenn es an der Stelle einsortiert wird, die seiner Entstehung entspricht. Diese Beispiele zeigen, dass ein Strafbedürfnis hier nicht deshalb gesehen werden kann, weil es ein Interesse an einem unverrückbaren Aktenaufbau gäbe. Ein Sanktionsbedürfnis kann man vielmehr deswegen annehmen, dass vorgespiegelt wird, ein bestimmter Aktenbestandteil sei zu einem bestimmten Zeitpunkt entstanden (und vielleicht auch noch inhaltlich falsch). Das kann aber nicht durch das Delikt der Urkundenfälschung nach § 267 StGB erfasst werden. Das Entstehungsdatum einer Urkunde oder eines Teils einer Gesamturkunde ist Teil ihres Erklärungsinhalts, nicht eine Frage der Identität zwischen anscheinendem und tatsächlichem Aussteller.
Auch war ein Zeitpunkt, zu dem die Vergabeakten hätten vollständig sein müssen, bis zum Tatzeitpunkt nicht eingetreten. Es genügt, sie zusammenzustellen, wenn die Vergabekammer zur Vorlage auffordert (vgl. Reidt/Stickler/ Glahs, Vergaberecht, 2. Aufl. § 110 Rn. 36). Es kann daher nicht beanstandet werden, wenn die Vergabeakten erst dann kompiliert werden. Selbst wenn sie unmittelbar zeitnah geführt werden müssten, stellte sich noch die Frage, in welcher Weise Ergänzungen von Akten stattfinden dürfen, die zunächst unvollständig sind und vervollständigt werden sollen.
Im konkreten Fall erfolgte die Zusammenstellung, wenn man die Aussage des Zeugen M zugrunde legt, kurz zuvor. Sie wurde vom Beschuldigten S als rechtlichem Berater begleitet. Auch die wohl auf ihn zurückgehende Einfügung der fraglichen, rückdatierten Inhalte erfolgte noch vor dem Vorlageverlangen der Vergabekammer.
Allerdings ist davon auszugehen, dass auch vor und somit unabhängig von einer bewussten oder ausdrücklichen Fertigstellung die Urkundsqualität schon immer dann erreicht ist, wenn der Aussteller die Dispositionsbefugnis über die Urkunde verloren hat (vgl. BGHSt 13, 382, 386; MK-Erb, § 267 Rn. 189 m.w.N; LK-Gribbohm, § 267 Rn. 203 ff m.w.N.), etwa wenn ein Beweisinteresse Dritter besteht, z.B. bei Handelsbüchern des Kaufmanns (vgl. RGSt 69, 396, 398). Dabei kommt es nicht darauf an, ob zu dem Zeitpunkt bereits ein Akteneinsichtsrecht für einen Dritten bestanden hat. Dies kann hier erst nach Fertigstellung der Vergabeakten und ihrer Vorlage an die Vergabekammer bestehen. Entscheidend ist allein, ob ein anderer bereits zum Zeitpunkt der vorgenommenen Veränderung einen Anspruch auf unversehrten Bestand der Urkunde oder ein berechtigtes Interesse an der Unversehrtheit erlangt hat. Das ist hier im Ergebnis nicht der Fall gewesen.
Gerade bei solchen laufend fortgeführten Urkunden wie Handelsbüchern, in der Regel Gesamturkunden, ist ein Zeitpunkt, zu dem sie fertig gestellt sind, kaum zu bestimmen. Vielmehr sind sie laufend aktuell zu halten und nicht ohne weiteres nachträglich zu berichtigen oder sonst zu verändern. So hat das OLG Koblenz entschieden, ein Arzt dürfe Änderungen an in sich abgeschlossenen einzelnen Eintragungen in einer Krankenakte auch dann nicht mehr vornehmen, wenn der Patient noch keinen Einsichtsanspruch geltend gemacht hat. Der Arzt sei gesetzlich verpflichtet, die von ihm erhobenen medizinischen Befunde unverzüglich schriftlich niederzulegen und danach jegliche Änderung der Aufzeichnungen – mit Ausnahme von Korrekturen offensichtlicher Schreibfehler oder vergleichbarer Unrichtigkeiten – zu unterlassen (OLG Koblenz NJW 1995, 1624, 1625).
Die Vergabeakten im Sinne des § 110 GWB sind aber keine solchen laufend zu aktualisierenden Vorgänge. Eine Regelung, die dazu verpflichten würde, jede Einzelhandlung unverzüglich – oder wie bei Handelsbüchern in einer bestimmten Frist - aktenkundig zu machen, gibt es für die Vergabeakten nicht.
Ein Verlust der Dispositionsbefugnis lässt sich zwar auch mit Erfordernissen begründen, die nicht ausdrücklich im Gesetz geregelt sind, z.B. darf eine Klassenarbeit nach Abgabe nicht mehr vom Schüler verändert werden (vgl. AG Pfaffenhofen NStZ-RR 2004, 170).
Ein Verlust der Dispositionsbefugnis über die Akten scheidet aber jedenfalls zu einem Zeitpunkt aus, in dem die Akten noch nicht einmal geschaffen sein müssen. Zumindest solange noch gar keine Vergabeakten in vollständiger Form vorliegen müssen, muss auch ihre Ergänzung möglich sein. Wenn es keine Vorschrift über die Existenz von Akten gibt, kann man nicht an die Art und Weise ihrer nicht geregelten Führung strafrechtliche Konsequenzen anknüpfen.
Die Lage wäre im Ergebnis nicht anders, wenn die Vergabeakten zum Zeitpunkt der vorgeworfenen Handlung schon hätten fertiggestellt sein müssen. Selbst wenn die Zusammenstellung der Akten verspätet erfolgt wäre, würde allein die Einfügung von Inhalten oder die Umheftung von Aktenbestandteilen keine Urkundenfälschung darstellen. Denn bis zur Abgabe der Akten konnte die Vergabebehörde darüber verfügen.
Weil die Akten noch nicht fertiggestellt sein mussten, ist umso deutlicher, dass in jedem Fall noch die volle Dispositionsbefugnis der Vergabebehörde über die zu erstellenden Akten, ihren Aufbau und ihren Inhalt bestand.
Zudem würde auch der Umstand, dass der Aussteller bei einer nachträglichen Veränderung der (Gesamt-)Urkunde über den Zeitpunkt täuscht, zu dem er sich erklärt hat, als Legitimation der Strafbarkeit ausscheiden, weil das wieder eine Sanktionierung eines bloß falschen Inhalts wäre (MK-Erb, § 267 Rn. 192).
c) Nach Auffassung des Senats fehlt es hier nicht nur an einer zum Tatzeitpunkt fertiggestellten Urkunde. Sowohl vor wie nach der Ergänzung hat die Akte nicht die Qualität einer Gesamturkunde erlangt, die durch Ergänzung weiterer Blätter verfälscht werden könnte.
Unabhängig davon, dass die Figur der Gesamturkunde in Existenz und Reichweite umstritten ist (NK-Puppe, StGB, 2. Aufl., § 267 Rn. 41, MK-Erb, StGB, § 267, Rn. 58 m.w.N.), lag hier schon nach der Begriffsbestimmung der Rechtsprechung keine Gesamturkunde vor.
Eine Gesamturkunde ist eine auf Rechtssatz, Geschäftsgebrauch oder Vereinbarung beruhende feste und dauerhafte Zusammenfassung mehrerer Einzelurkunden zu einem übergeordneten Ganzen, das einen über die Einzelurkunden hinausgehenden Gedankeninhalt auch in negativer Hinsicht beweisen kann (BGHSt 4, 60, 61; RGSt 60, 17, 19, 20).
aa) Eine Gesamturkunde muss einen Erklärungsinhalt haben, der über den Inhalt ihrer Einzelstücke hinausgeht (LK-Gribbohm, § 267 Rn. 96). Dazu gehört insbesondere, dass im jeweiligen Kontext außer den beurkundeten keine weiteren Vorgänge gleicher Art stattgefunden haben (MK-Erb, § 267 Rn. 56), die in der Gesamturkunde hätten Berücksichtigung finden müssen.
Einen zusätzlichen Erklärungsinhalt im Moment der Vorlage an die Vergabekammer kann man hier annehmen, allerdings auch nur subjektiv aus Sicht der Vergabebehörde, die die Akte erstellt.
Vor diesem Zeitpunkt ist das sehr fraglich. Wenn man mit der Staatsanwaltschaft davon ausgeht, dass schon vor der Vorlageaufforderung eine Beweiseignung und Beweisbestimmung besteht, wird man auch annehmen, dass die Vergabeakte über die einzelnen Schriftstücke und sonstigen Inhalte hinaus als Zusammensetzung zu einem Ganzen schon dann einen über die Einzelstücke hinausgehenden Erklärungsinhalt hat.
Die Vergabeakte dokumentiert die Gesamtheit des Vergabevorgangs. Sie soll nach dem Grundsatz der Aktenwahrheit und –klarheit ein vollständiges Bild vom Verfahrensgang schaffen.
Allerdings wird die Vollständigkeit von der Vergabebehörde nicht abschließend beurteilt und entschieden. Denn die Vergabekammer kann Ergänzungen anfordern. Es gibt keinen verbindlichen Kanon, was in die Akten aufzunehmen ist und was nicht. Anders als etwa bei Geschäftsbüchern, Posteingangsbüchern und ähnlichen als Gesamturkunden angesehenen Gegenständen handelt es sich auch nicht um eine Vielzahl von Vorgängen, die eine Gleichartigkeit aufweisen, etwa kassenwirksam oder in den Briefkasten eingelegt worden zu sein. Eine eindeutige Beschreibung der aufzunehmenden Vorgänge ist zumindest nicht mit wenigen Worten vorzunehmen.
Auch eine zusätzliche Vollständigkeitserklärung oder einen Abschluss- oder Kontrollvermerk, die bzw. der eventuell unabhängig von der Qualität der Zusammenfassung nachträgliche Änderungen unter § 267 StGB fallen lassen könnte, hat es im konkreten Fall nicht gegeben.
bb) Außerdem müssten die Einzelstücke fest und dauerhaft zu einer Gesamturkunde verbunden sein, wobei diese Zusammenfassung auf Rechtssatz, Geschäftsgebrauch oder Vereinbarung beruhen kann (RGSt 69, 396, 398 für Handelsbücher des Kaufmanns; OLG Düsseldorf NStZ 1981, 25, 26 für Personalakten). Daran fehlt es hier jedenfalls.
Zwar ist noch nicht abschließend geklärt, wie diese Zusammenfassung beschaffen sein muss. Die obergerichtliche Rechtsprechung hat sich überwiegend mit herkömmlichen Erscheinungsformen von Gesamturkunden befasst: Posteinlieferungsbuch, Strafprozessregister, Bierlieferungsbuch, Trödlerbuch (vgl. die Nachweise bei LK-Gribbohm, § 267 Rn. 96ff). All diesen Fällen war gemeinsam, dass es sich um fest gebundene Bücher oder eine ähnliche Form handelte (RGSt 60, 17,19 setzt das voraus). Diese klassischen gebundenen Verzeichnisse mit sukzessive vorgenommenen Einzeleintragungen trifft man immer weniger an. Selbst das Sparbuch wird inzwischen bei vielen Banken durch einzelne Ausdrucke wie Kontoauszüge ersetzt.
Der Begriff der Handelsbücher allerdings wurde schon immer weiter verstanden und umfasste mehrere, nicht körperlich miteinander verbundene Gegenstände (so in RGSt 52, 88, 91). Damit wurde der Weg vorgezeichnet, auch Akten, die gegebenenfalls auf mehrere „Bände“ oder Heftungen verteilt sind, als Gesamturkunde würdigen zu können.
An einer körperlich festen und dauerhaften Verbindung zum Zeitpunkt der angeklagten Veränderungen fehlt es hier.
Rechtsprechung und Literatur haben sich zur Frage, ob und gegebenenfalls wann Akten, insbesondere Verwaltungsakten, Gesamturkunden sind, bisher selten geäußert. Überwiegend waren dann Entnahmen von Schriftstücken, nicht nachträgliche Ergänzungen betroffen.
Bei einer Bußgeldakte hat der BGH den Aspekt der Gesamturkunde gar nicht erwähnt, sondern in einem Fall des Austauschs eines Blattes mit Neufoliierung festgestellt, die Foliierung einer Verfahrensakte habe nicht den Erklärungsinhalt, die einzelnen Blätter seien in bestimmter Reihenfolge eingegangen oder zu den Akten genommen worden. Ein etwaiger Aussteller einer solchen Erklärung wäre schon gar nicht erkennbar (BGH, Beschluss vom 6.11.1996, 5 StR 219/96, zit. bei LK-Gribbohm, § 267 Rn. 99, vollständig bei juris). Allerdings erfolgt bei einer Bußgeldakte die Aktenführung je nach Verfahrensstand durch unterschiedliche Behörden, so dass man die Paginierung nicht einer Behörde als Erklärung zurechnen kann, unabhängig davon, welche natürliche Person sie jeweils vorgenommen hat. Das ist bei der Vergabeakte anders.
Das OLG Düsseldorf hat eine Personalakte als Gesamturkunde gewertet, aber keine Urkundenfälschung angenommen, wenn eine Einzelurkunde entnommen wird und dies mit einem Vermerk aktenkundig gemacht wird (NStZ 1981, 25).
Mit der Kreditakte einer Bank befasst sich Pommerenke in wistra 1996, 212. Sie erörtert, dass eine Kreditakte wegen Erfordernissen des Bundesaufsichtsamtes für das Kreditwesen (jetzt der BaFin) angelegt werden muss. Sie verneint die Eigenschaft als Gesamturkunde damit, dass im Verhältnis zum Kunden keine Beweisbestimmung besteht. Dabei wird nach Auffassung des Senats jedoch übersehen, dass die Beweisbestimmung im Verhältnis zur BAKred besteht. Für die Urkundeneigenschaft kommt es nicht darauf an, wem gegenüber die Beweisbestimmung besteht.
Die Handakten eines Rechtsanwalts wurden – trotz von vornherein bestehenden Überprüfungsrechts der Rechtsanwaltskammer – nicht als Gesamturkunde angesehen (BGHSt 3, 395).
Es ist sicher möglich, Vergabeakten in Form einer fest und dauerhaft verbundenen Gesamturkunde herzustellen. Maßgeblich ist aber der tatsächliche Ausgangszustand der konkreten Akten. Nicht entscheidend dabei ist, ob etwaige Vorschriften über die Erstellung von Vergabeakten beachtet worden sind.
Vorschriften über die Art der Führung der Vergabeakte, die diese zu einer Gesamturkunde machten, existieren jedenfalls in Thüringen gar nicht. Zwar müssen die Vergabeakten dem Gebot der Vollständigkeit und der Aktenerhaltung wie andere Akten in der öffentlichen Verwaltung entsprechen. Wie das umgesetzt wird, unterliegt aber dem Organisationsermessen der Behörden (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 10. Aufl., § 29 Rn. 29).
Der Umstand, dass die Akten möglicherweise bewusst so geführt werden, dass damit die Entstehung einer im Sinne des § 267 StGB verfälschbaren Gesamturkunde vereitelt wird, ist nicht strafbewehrt oder sonst sanktionierbar.
Eine Verpflichtung zur Führung einer Vergabeakte überhaupt lässt sich aus dem GWB herleiten. Denn die in § 102 normierte Nachprüfung durch die Vergabekammern erfordert eine Dokumentation. Damit ist die Führung von Akten vorausgesetzt, aber nicht die Art und Weise der Aktenführung festgelegt.
Insbesondere ist damit nicht bestimmt, dass die Akten so zu führen sind, dass daraus eine Gesamturkunde entsteht. Eine feste und dauerhafte Verbindung ist nicht notwendig.
Tatsächlich fehlt es im vorliegenden Fall an einer festen und dauerhaften Zusammenfassung, die eine Gewähr für Vollständigkeit und Geschlossenheit bieten könnte. Die Akten waren vor der Ergänzung weder gesiegelt noch gebunden oder fest geheftet, sondern in Aktenordnern abgelegt. Entnahmen oder Hinzufügungen können dann nicht ohne weiteres auffallen.
Wenn schon keine körperlich feste Verbindung etwa durch Heftklammern, Siegel, Bindung o.ä. stattfindet, müsste anderweitig die Dauerhaftigkeit der Verbindung gesichert und erkennbar sein. Es kann nicht genügen, dass Schriftstücke in einem Ordner abgeheftet werden, in dem sie in ihrer Reihenfolge laufend verändert werden können und Entnahmen und Hinzufügungen erfolgen können, ohne nachvollziehbar zu sein. Zwar ist bislang – soweit ersichtlich - keine obergerichtliche Entscheidung zur Ablage von Unterlagen in einem Ringbuch unter dem Gesichtspunkt des Vorliegens einer Gesamturkunde ergangen. Lose zusammengestellte Unterlagen zu einem Verdingungsprotokoll stellen jedenfalls noch keine Gesamturkunde dar (RGSt 60, 17,19).
Die feste Verbindung wird hier auch nicht durch durchgängige Paginierung oder strenge Chronologie ersetzt oder geschaffen.
Eine körperliche Verbindung könnte zwar durch fortlaufende Seitenzahlen ersetzt werden, die Entnahmen und Ergänzungen deutlich machen, soweit nicht eine Ersetzung durch ein anderes Blatt erfolgt. Damit könnte eine Sammlung von Schriftstücken zu einer Gesamturkunde werden. Auch daran fehlte es hier aber zum Zeitpunkt des Anklagevorwurfs.
Eine lückenlose Paginierung, bei der entnommene Blätter durch Fehlblätter ersetzt werden und bei hinzukommenden Blättern entweder sichtbar umpaginiert wird oder die hinzukommenden Blätter mit „a, b, c ..“ bezeichnet werden, wobei auf dem Blatt mit der Stammnummer auf die mit Buchstaben gekennzeichneten Folgeblätter hingewiesen wird, hat es in der Vergabeakte des ZASt zum Zeitpunkt der angeklagten Ergänzungen nicht gegeben. Sie war auch nicht vorgeschrieben. Eine durchlaufende Paginierung erfolgte erst danach, so dass sie die fraglichen Blätter mit den anscheinend rückdatierten Vermerken kontinuierlich mit umfasst.
Ebenso fehlte es den hier vorliegenden Vergabeakten an strenger Chronologie.
Zwar sollten die Akten streng chronologisch geführt werden, wenn es Sinn und Zweck der Akten ist, den Willensbildungs- und Entscheidungsstand der Behörde bezogen auf einen bestimmten Zeitpunkt beweiskundig zu machen. Dann wären sie insoweit besonders beweisgeeignet. So geht auch die Generalstaatsanwaltschaft davon aus, es bestehe eine Pflicht zur kontinuierlichen Fortschreibung und die Vergabeakten würden von Beginn an den tatsächlichen Ablauf des Vergabeverfahrens dokumentieren. Sie hätten deshalb wie jede fortlaufend geführte Gesamturkunde einen über die Einzelurkunden hinausgehenden Beweiswert seit Beginn der Sammlung.
Die Staatsanwaltschaft vertritt in der Anklageschrift die Auffassung, es gebe zwar keine Regeln darüber, wann ein bestimmter Vorgang in der Akte dokumentiert werden muss. Es sei aber nicht zulässig, ein Ereignis als zu einem Zeitpunkt geschehen zu dokumentieren, an dem es nicht stattgefunden hat und diese Dokumentation an entsprechender Stelle einer chronologisch geordneten Sammlung abzulegen. Die Staatsanwaltschaft hat zwar darin Recht, dass die Vermutung der Vollständigkeit für die Akte dann nicht mehr besteht. Ein solches Vorgehen dürfte auch unzulässig sein.
Das setzt aber voraus, dass die Ordnung innerhalb der Akten chronologisch erfolgt, was im konkreten Fall nicht so ist.
Die Vergabeakte weist hier keine Chronologie in der Reihenfolge des Eingangs auf. Sie besteht aus 30 einzelnen inhaltlichen, durch Trennblätter geschiedenen Abschnitten, außerdem 3 weiteren Ordnern mit der Bezeichnung „Bericht zur Angebotsauswertung“. Allenfalls grob spiegelt sich in den Abschnitten die zeitliche Abfolge des Verfahrens wieder. Innerhalb der einzelnen Abschnitte findet zwar eine chronologische Ordnung weitgehend statt, aber nicht insgesamt.
Aus einer nicht chronologisch geführten Akte lässt sich der tatsächliche Verlauf des Vergabeverfahrens nicht feststellen.
Die Forderung der Staatsanwaltschaft, die neuen Schriftstücke hätten – wie etwa in einer bereits zum Gericht gelangten Strafakte – einfach am Ende des Gesamtvorgangs abgelegt werden müssen, deckt sich nicht mit der vom ZASt, der die Organisationsbefugnis hatte, zulässigerweise gewählten Art der Aktenführung.
Wären die Akten vor der Einfügung der fraglichen Vermerke streng chronologisch oder mit Paginierung geführt worden, käme eine Urkundenfälschung eher in Betracht. Die vorliegenden Vergabeakten sind aber gerade nicht so geführt worden.
d) Denkbar wäre, jeden einzelnen der 30 Abschnitte, in die die Vergabeakte gegliedert ist, als eine Gesamturkunde anzusehen. Die Abschnitte sind im wesentlichen chronologisch geordnet. Allerdings wäre es dann auch leicht, nachträglich als notwendig erkannte Inhalte zu ergänzen, denn die Abschnitte umfassen meist relativ kurze Zeiträume, so dass sich eine Ergänzung meist am Ende einordnen ließe, ohne Verdacht zu erregen.
Solange die Akten noch nicht fertiggestellt sind, ändert aber auch eine Betrachtung des Gesamtvorgangs als Zusammenstellung mehrerer Gesamturkunden nichts am Ergebnis.
e) Die verfahrensgegenständliche Vergabeakte bietet gerade nicht die Gewähr für Vollständigkeit und Geschlossenheit schon zu dem Zeitpunkt, in dem die Tat begangen worden sein soll. Das mag bei anderen Vergabeakten anders sein.
Dass der Vergabesenat des Thüringer Oberlandesgerichts wegen der Gefahr von Manipulationen eine nachträgliche Heilung von Dokumentationsmängeln als unzulässig ansieht und die Vergabeakten als beweiskräftig ansieht, bedeutet zwar, dass die Vergabeakten besonders schutzwürdig sind, kann aber den Tatbestand des § 267 StGB nicht erweitern.
Eine etwaige Verpflichtung zur Führung vollständiger und wahrheitsgetreuer Akten, die die Staatsanwaltschaft zu Recht als Voraussetzung für die Einhaltung diverser rechtsstaatlicher Gebote im Vergabeverfahren postuliert, wäre ebenfalls ohne Zusammenhang zum Delikt der Urkundenfälschung, weil dieses nicht auf den Wahrheitsgehalt abstellt, sondern lediglich auf die Übereinstimmung von anscheinendem und tatsächlichem Aussteller einer Urkunde. Es ist zwar zutreffend, dass die Vergabekammer und der Vergabesenat des Oberlandesgerichts auf vollständige und wahrheitsgemäße Akten angewiesen sind. Das kann aber nicht durch § 267 StGB gewährleistet werden, da dieser eine andere Schutzrichtung hat.
2. Die angeklagte Einfügung von rückdatierten Vermerken in die Vergabeakte erfüllt auch nicht den Tatbestand der Falschbeurkundung im Amt nach § 348 StGB.
Zwar könnte über § 348 StGB die inhaltliche Unrichtigkeit, auf die die Staatsanwaltschaft letztlich abstellt, strafrechtlich erfasst werden, wenn dessen Tatbestand erfüllt wäre. Die Vergabeakte und ihre Bestandteile sind aber nicht als solche bereits öffentliche Urkunden im Sinne des § 348 StGB. Denn sie dienen nicht dazu, Beweis für und gegen jedermann auch über das konkrete Verfahren hinaus zu erbringen. Außerdem gibt es keine Festlegung, dass sie bestimmte Inhalte enthalten müssen, die im konkreten Fall unrichtig aufgenommen worden sein müssten.
Eine öffentliche Urkunde ist nur eine solche, die die Funktion hat, den Urkundeninhalt mit einer besonderen amtlichen Richtigkeitsbestätigung zu versehen (Münchner Komm.-Freund, StGB, § 271 Rn. 12), die über einen konkreten Vorgang hinaus wirkt. Ihr Inhalt fällt nur soweit unter §§ 271 bzw. 348 StGB, wie der öffentliche Glaube reicht. Dabei ist nach der Rechtsprechung ein strenger Maßstab anzulegen. Notwendig ist eine Beweiswirkung für und gegen jedermann (BGHSt 6, 380, 381; 17, 66, 67; 19, 19, 21). Diese kann nur angenommen werden, wenn kein Zweifel besteht, dass dies unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung dem Sinn und Zweck des Gesetzes entspricht (BGHSt 22, 201, 203; 20, 294, 295; LK-Gribbohm, § 271 Rn. 22). Der strafrechtliche Begriff einer öffentlichen Urkunde ist dabei enger als derjenige des § 415 ZPO (BayObLG, NStZ 1996, 137; BGHSt 20, 186, 188; 44 186, 187), zumindest hinsichtlich der Reichweite des strafrechtlichen Schutzes für die in der Urkunde enthaltenen Angaben.
Trotz der Beweiserleichterungen nach §§ 415 ff ZPO aufgrund der angenommenen besonderen Zuverlässigkeit der Amtsträger, die es rechtfertigt, vorsätzlich falsch niedergelegte Inhalte mit Strafe zu bedrohen, wird damit die Möglichkeit einer Strafverfolgung nach § 348 StGB als Mittel zur Erhaltung der Lauterkeit der Verwaltung und zur Korruptionsbekämpfung, gerade bei Verschleierungsstrategien, begrenzt.
Zwar sind die Vergabeakten von Beweisbedeutung im Verhältnis zu allen Bietern und deswegen möglicherweise in mehreren Überprüfungsverfahren. Doch über den konkreten Vergabevorgang hinaus haben sie keine erhöhte Beweiskraft. Für eine solche weitergehende Beweiswirkung gibt es keine Grundlage und auch keinen Anlass.
Dem steht nicht entgegen, dass es sich bei den Vergabeakten nicht um rein innerdienstliche Schriftstücke handelt. Das Vergaberecht schafft die Verpflichtung zu einer Dokumentation, um die im GWB vorgesehene Überprüfung durch die Vergabekammer bzw. das Gericht zu ermöglichen. Von vornherein ist damit eine Herausgabe aus der Verwaltung, die sie erstellt hat, zumindest einkalkuliert.
Die Vergabeakte als Ganzes und ebenso ihre Bestandteile sind zwar dazu gedacht, im Verhältnis zu Außenstehenden, namentlich den Bietern, Beweis über den Ablauf des Verfahrens und seine Ordnungsmäßigkeit zu erbringen. Sie soll Transparenz schaffen. Sie dient als Grundlage für die Sachverhaltsermittlung der Vergabekammer (Reidt in Reidt/Stickler/Glahs, § 110 Rn. 33). Sie soll auch über den Verfahrensgang, den richtigen zeitlichen Ablauf und die Zeitnähe einer schriftlichen Niederlegung zu dem beschriebenen Vorgang Beweis erbringen können. Für die Würdigung eines Vermerks ist es wesentlich, ob er am Tage des Ereignisses, am Tag danach oder erst drei Monate oder Jahre später niedergelegt worden ist. Es muss nachprüfbar sein, ob die Niederlegung des Vermerks mit einer frischen Erinnerung erfolgte oder nicht. Dies ist notwendig, um das Verfahren nach § 97ff GWB überhaupt zu sichern. Gerade das Nachprüfungsverfahren nach § 102ff GWB, für das die Vergabeakten bestimmt sind, dient der Durchsetzung der subjektiven Rechte der Unternehmen i.S. des § 97 Abs. 2 GWB (vgl. Reidt, a.a.O., vor § 102 Rn. 3).
Dabei handelt es sich nicht um verwaltungsinterne Vorgänge ohne Außenwirkung, die schlichte amtliche Urkunden wären (vgl. Schönke/Schröder-Cramer, StGB, 25. Aufl., § 271 Rn. 9). Gerade die hier vorliegende Akte ist auch ersichtlich aufbereitet worden, strukturiert und mit einleitenden Vermerken versehen worden, um für einen Dritten, der die Akten nicht selbst geführt hat und auch nicht etwa als Vorgesetzter laufend mit dem Verfahren befasst war, rasch eine Nachvollziehbarkeit des Vorgangs zu schaffen.
Doch genügt diese Qualität der Vergabeakte nicht, um sie zu einem geeigneten Objekt einer Falschbeurkundung im Amt zu machen, da vorausgesetzt wird, dass ihre Beweiswirkung über das gegenständliche Verfahren hinausreicht.
Zudem würde sich der öffentliche Glaube und damit der erhöhte strafrechtliche Schutz nicht auf den gesamten Inhalt der Urkunde erstrecken, sondern nur auf bestimmte, von vornherein allgemein, regelmäßig durch Rechtssatz, festgelegte Inhalte (BGHSt 6, 380, 381; 19, 19, 21; 20, 186, 188; NJW 2004, 3195). Die über den vorgeschriebenen Inhalt hinausgehenden Bestandteile einer öffentlichen Urkunde nehmen am öffentlichen Glauben nicht teil (BGHSt 44, 186, 188; BayObLG NJW 1992, 1841, 1842; OLG Hamm NJW 1977, 592, 594). Zumindest das Datum von Vermerken, um das es hier geht, gehört nicht dazu. Auch bei notariellen Urkunden ist das Datum ihrer Erstellung oder ihr Erstellungsort nicht von § 348 StGB erfasst (BGHSt 44, 186, 188; LG Frankfurt/M, NJW 2008, 91, 93).
So genießen etwa bei gerichtlichen Verhandlungsprotokollen nur bestimmte, gesetzlich festgelegte Inhalte den besonderen Schutz über § 348 StGB, etwa die prozessualen Förmlichkeiten, nicht aber der Inhalt von Zeugenaussagen.
Die Vergabeakten haben keinen von vornherein festgelegten Inhalt. Insbesondere gibt es keine gesetzlichen Bestimmungen über die Aufnahme bestimmter Inhalte. Was ihr Bestandteil ist oder wird, entscheidet zunächst die Vergabebehörde. Es sind dann der Vergabekammer sämtliche Unterlagen zur Verfügung zu stellen, die diese für erforderlich hält (Reidt a.a.O., § 110 Rn. 34). Sie kann weitere Unterlagen anfordern. Dazu können auch Vermerke darüber, wer wann welche internen Entscheidungen auf welcher Grundlage getroffen hat, gehören.
Unabhängig von der Aufnahme in die Vergabeakten gibt es darüber hinaus schon gar keine Verpflichtung zur Herstellung dieser Vermerke überhaupt. Es gibt keine Festlegung im Vergaberecht oder andernorts, dass zwingend zutreffend datierte Vermerke über jede Erwägung oder Zwischenentscheidung der Verwaltung niederzulegen und zur Akte zu bringen wären.
Auch die sich generell für die Verwaltung aus § 29 VwVfG ergebende Pflicht zur Führung von Akten, die vollständig und richtig sein müssen (Kopp-Ramsauer, § 29 Rn. 29; Knack-Clausen, VwVfG, 8. Aufl., § 29 Rn. 7), führt allein nicht dazu, dass Verstöße dagegen etwa nach § 348 StGB strafbewehrt wären.
3. Hinsichtlich eines versuchten Betrugs durch Täuschung der Vergabekammer hat das Landgericht bereits zutreffend ausgeführt, dass die Vergabekammer keine Vermögensverfügung vornehmen kann.
4. Die Ergänzung der Vergabeakten, namentlich mit unrichtigen Inhalten, könnte unter Umständen auch einen Tatbeitrag zu anderen Tatbeständen wie Betrug nach § 263 StGB zum Nachteil Dritter, etwa der anderen Bieter, wettbewerbswidrigen Absprachen nach § 298 StGB oder Korruptionsdelikten darstellen. Vom konkreten Anklagesatz sind solche Aspekte aber nicht umfasst.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 2 StPO.
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