Baden Würtemberg: Karlsruhe

Urteil vom BGH

Entscheidungsdatum: 24.06.1993
Aktenzeichen: I ZR 148/91

Tatbestand

Die Klägerin ist Theaterfotografin. Der Beklagte ist ein international bekannter Theaterregisseur.

Mit Erlaubnis des Beklagten hatte die Klägerin von fünf Produktionen des Beklagten fotografische Aufnahmen gemacht, die sie auf 270 Dias festgehalten hatte. Als sie diese in ihrer Wohnung vorführte, nahm der Beklagte in einem unbeobachteten Augenblick 36 Dias an sich. Von 18 Dias ließ der Beklagte Duplikate herstellen.

Die Klägerin hat ausgeführt, der Beklagte habe die Kopien zu beruflichen Zwecken gefertigt; er inszeniere seine Stücke nämlich mehrmals neu, wozu er die Fotos benötige, damit er und seine Mitarbeiter danach arbeiten könnten. Da er ihre Rechte an ihren Lichtbildern verletzt habe, sei er zur Vernichtung aller Kopien der näher bezeichneten 18 Dias sowie zum Schadensersatz verpflichtet. Für jedes vervielfältigte Bild stehe ihr ein Schadensersatzanspruch in Höhe einer angemessenen Lizenz von 500,-- DM, also insgesamt 9.000,-- DM zu.

Der Beklagte hat eine Haftung in Abrede gestellt, da er die Fotos nur aus persönlichen Gründen zur Erinnerung kopiert habe. Aus beruflichen Gründen sei er auf die Fotos der Klägerin nicht angewiesen, da er seine Inszenierungen lückenlos durch Skizzen, Zeichnungen und Fotos dokumentiert habe.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen: Die Klägerin könne nicht Zahlung einer angemessenen Lizenz für die Verwertung der Fotos und zugleich deren Vernichtung verlangen.

In der Berufungsinstanz hat der Beklagte den Vernichtungsanspruch der Klägerin anerkannt. Auf Antrag der Klägerin hat das Berufungsgericht den Beklagten entsprechend seinem Teilanerkenntnis verurteilt. Des weiteren hat das Berufungsgericht das Schadensersatzbegehren der Klägerin in Höhe von 400,-- DM pro Bild als angemessene Lizenzgebühr für begründet erachtet und den Beklagten zur Zahlung von insgesamt 7.200,-- DM verurteilt.

Mit der (zugelassenen) Revision wendet sich der Beklagte gegen seine Verurteilung zur Schadensersatzleistung. Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Gründe

I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, der Beklagte sei der Klägerin zum Schadensersatz verpflichtet, da er mit der Herstellung der Kopien das Vervielfältigungsrecht der Klägerin als Lichtbildnerin gemäß § 72 Abs. 1, § 16 UrhG verletzt habe. Der Beklagte könne sich nicht auf § 53 Abs. 1 UrhG berufen, da die Vervielfältigung nicht zum privaten Gebrauch erfolgt sei. Im Hinblick auf den Beruf des Beklagten scheide ein privater Gebrauch der Vervielfältigungsstücke praktisch aus. Auch wenn der Beklagte geltend mache, seine Inszenierungen durch eigene Fotografien zu dokumentieren, bildeten die von der Klägerin hergestellten Aufnahmen doch notwendigerweise eine Ergänzung dieser Dokumentation. Ein anderes Motiv, als daß der Beklagte eine wünschenswerte Ergänzung im Auge gehabt habe, sei gar nicht denkbar. Die Anwendung von § 53 Abs. 1 UrhG scheide aber auch deswegen aus, weil der Beklagte sich rechtswidrig in den Besitz der Fotos gebracht habe. Es sei gewissermaßen ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal des Privilegs aus § 53 UrhG, daß das Werkstück, von dem die Vervielfältigung hergestellt werde, rechtmäßig in den Besitz des Vervielfältigers gelangt sei. Es liefe dem Zweck der Vorschrift zuwider, wenn eine Person, die Werkstücke widerrechtlich an sich gebracht habe, das Recht haben sollte, "zur Erinnerung" an ihr rechtswidriges Tun ein Vervielfältigungsstück herzustellen.

Der Schadensersatzanspruch scheitere - entgegen der Ansicht des Landgerichts - nicht daran, daß der Beklagte den Vernichtungsanspruch anerkannt habe. Das Gesetz gewähre den Schadensersatzanspruch neben dem Vernichtungsanspruch. Nicht beigetreten werden könne der Erwägung des Landgerichts, der Verletzer werde unangemessen hoch "bestraft", wenn er einen Lizenzbetrag zahlen müsse, der von einem ordentlichen Lizenznehmer für eine dauernde Nutzung zu entrichten wäre, aber anders als dieser nicht im Besitz des Lizenzgegenstands bleiben dürfe. Es sei vielmehr derjenige Lizenzbetrag zu zahlen, den vernünftige Lizenzvertragsparteien in Kenntnis der gegebenen Sachlage vereinbart hätten. Maßgeblich sei also der Wert der tatsächlichen Benutzungsberechtigung. Es sei davon auszugehen, daß eine Lizenzgebühr von 500,-- DM pro Dia für eine zeitlich unbegrenzte Nutzung als angemessen anzusehen sei. Die Angemessenheit dieses Betrages ergebe sich schon daraus, daß in einem Werkverzeichnis für eine Ausstellung der Klägerin die Preise für Theaterfotografien zwischen 350,-- DM und 6.000,-- DM lägen. Unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere des Verletzungszeitraums, der weniger als drei Jahre betrage, sei eine fiktive Lizenz von nur 400,-- DM pro Bild gerechtfertigt.

Die dagegen gerichtete Revision hat keinen Erfolg.

II. 1. Ohne Rechtsverstoß hat das Berufungsgericht angenommen, daß der Klägerin der Lichtbildschutz an den streitigen Fotografien gemäß § 72 Abs. 1 UrhG zukommt. Die Revision erinnert dagegen nichts. Der Klägerin steht demzufolge gemäß § 72 Abs. 1 UrhG i.V. mit § 16 UrhG das Vervielfältigungsrecht an den streitigen Lichtbildern zu.

2. Das Berufungsgericht hat deshalb bei der rechtlichen Beurteilung des Verhaltens des Beklagten zutreffend darauf abgestellt, ob dieser hinsichtlich der Lichtbilder der Klägerin sich auf § 53 Abs. 1 i.V. mit § 72 Abs. 1 UrhG berufen kann, wonach es zulässig ist, einzelne Vervielfältigungsstücke eines Lichtbilds zum privaten Gebrauch herzustellen. Das Berufungsgericht hat die Anwendung des § 53 Abs. 1 UrhG im Streitfall zu Recht versagt.

Ohne Erfolg vertritt die Revision den Standpunkt, der Beklagte habe die streitigen Lichtbilder lediglich zum privaten Gebrauch kopiert. Die gegenteilige Beurteilung des Berufungsgerichts läßt einen Rechtsfehler nicht erkennen. Von einem privaten Gebrauch im Sinne des § 53 Abs. 1 UrhG kann dann nicht gesprochen werden, wenn die Kopien - jedenfalls auch - für berufliche Zwecke gefertigt werden (vgl. BGHZ 18, 44, 55 - Fotokopie). Das Berufungsgericht hat seine Überzeugung darauf gestützt, daß der Beklagte ein Interesse daran hatte, seine Inszenierungen für seine weitere berufliche Tätigkeit zu dokumentieren, um erforderlichenfalls bei Neuinszenierungen hierauf zurückgreifen zu können. Das Berufungsgericht hat hierzu den Vortrag des Beklagten in seine Erwägungen einbezogen, selbst durch Skizzen, Zeichnungen und Fotos seine Inszenierungen lückenlos zu dokumentieren. Die Annahme des Berufungsgerichts, die vom Beklagten gezogenen Kopien dienten der Ergänzung dieser Dokumentation zu beruflichen Zwecken, ist nicht erfahrungswidrig. Diese Beurteilung ist nicht von der Feststellung abhängig, ob der Beklagte bei Neuinszenierungen frühere Stilelemente übernimmt oder sich von diesen absetzt. In beiden Fällen hat die Dokumentation beruflichen Bezug. Soweit die Revision den Standpunkt vertritt, der Beklagte habe es wegen seiner eigenen hervorragenden Dokumentation nicht nötig, für berufliche Zwecke auf Fotografien Dritter zurückzugreifen, setzt sie ihre eigene Sicht der tatsächlichen Gegebenheiten an die Stelle der vom Berufungsgericht gemäß § 286 ZPO rechts- und verfahrensfehlerfrei getroffenen Beurteilung.

In Anbetracht des Umstandes, daß der Beklagte sich auf die Privilegierung des § 53 Abs. 1 UrhG deswegen nicht zu berufen vermag, weil er die Dia-Duplikate zu beruflichen Zwecken hergestellt hat, kann es dahinstehen, ob der Ansicht des Berufungsgerichts beigetreten werden kann, die Anwendung des § 53 Abs. 1 UrhG sei im Streitfall schon deshalb ausgeschlossen, weil der Beklagte sich in rechtswidriger Weise den Besitz der streitigen Lichtbilder verschafft habe.

3. Gegen die aus der schuldhaften und rechtswidrigen Verwertungshandlung des Beklagten folgende Schadensersatzhaftung gemäß § 97 Abs. 1 UrhG wendet die Revision ohne Erfolg ein, mit der Zuerkennung und Durchsetzung des Vernichtungsanspruchs aus § 98 UrhG sei der Störungszustand beseitigt worden und mangels einer Verbreitung der Lichtbildkopien in der Öffentlichkeit sei der Klägerin ein Schaden nicht entstanden.

Der Vernichtungs- und der Schadensersatzanspruch sind dem Urheber- oder dem Leistungsschutzberechtigten als selbständige, voneinander unabhängige Rechte gegen den Verletzer an die Hand gegeben. Der Vernichtungsanspruch ist auf die Beseitigung eines fortdauernden Störungszustands gerichtet, besteht aber unabhängig davon, ob der Schuldner Schadensersatz geleistet hat, wie umgekehrt die Vernichtung der rechtswidrig hergestellten Vervielfältigungsstücke auf den Schadensersatzanspruch grundsätzlich ohne Einfluß ist. Danach kann auch vorliegend die Klägerin den Schadensersatzanspruch aus § 97 Abs. 1 UrhG neben dem Vernichtungsanspruch aus § 98 UrhG geltend machen.

a) Die Klägerin kann als Schadensersatzgläubigerin aus § 97 Abs. 1 UrhG, wie auch die Revision nicht in Abrede stellt, ihren Schaden nach den Grundsätzen der Lizenzanalogie liquidieren. Bei einer solchen Schadensberechnung ist derjenige Betrag zugrunde zu legen, welchen vernünftige Lizenzvertragsparteien in Kenntnis des Rechts des Betroffenen für die Verwertung als Lizenzgebühr vereinbart hätten (st. Rspr., vgl. zuletzt BGH, Urt. v. 16.11.1989 - I ZR 15/88, GRUR 1990, 353, 355 - Raubkopien; Urt. v. 22.3.1990 - I ZR 59/88, GRUR 1990, 1008, 1009 - Lizenzanalogie). Die Anerkennung dieser Berechnungsmethode beruht auf dem Bestreben, dem Verletzten in Anbetracht des häufig schwierigen Nachweises eines konkret entgangenen Gewinns oder der Höhe des Verletzergewinns über eine erleichterte Schadensberechnung einen Ausgleich dafür zu verschaffen, daß der Verletzer durch die unerlaubte Nutzung des immateriellen Rechts einen geldwerten Vermögensvorteil erlangt hat, dessen Höhe daran zu messen ist, wie seine Vermögenslage wäre, wenn er das Schutzrecht erlaubtermaßen benutzt hätte. Da er in einem solchen Fall die Gestattung des Schutzrechtsinhabers hätte einholen müssen, die dieser üblicherweise nur gegen Zahlung einer Lizenzgebühr als Entgelt erteilt hätte, ist der Verletzer so zu behandeln, als sei durch seinen rechtswidrigen Eingriff dem Rechtsinhaber diese angemessene Lizenzgebühr entgangen (BGHZ 44, 372, 376 - Meßmer Tee II; 77, 16, 25 - Tolbutamid).

b) Die Revision sieht die Begründetheit der im Wege der Lizenzanalogie berechneten Schadensersatzforderung als davon abhängig an, ob dem Verletzer die Rechte eines vertraglichen Lizenznehmers verblieben sind, und lehnt eine Schadensersatzhaftung des Beklagten deshalb ab, weil ein vertraglicher Lizenznehmer anders als der Beklagte nicht zur Vernichtung der Vervielfältigungsstücke verpflichtet sei. Dem kann nicht beigetreten werden.

Aufgabe des Schadensersatzrechts ist es nicht, dem Verletzer eine Rechtsposition zu verschaffen, wie sie einem rechtmäßig handelnden Vertragspartner zukommt, sondern einen Ausgleich des Vermögensnachteils herbeizuführen, den der Rechtsinhaber erlitten hat. Es ist deshalb bei der Schadensersatzhaftung nach den Grundsätzen der Lizenzanalogie allein danach zu fragen, welche Lizenzzahlung der Rechtsinhaber zu erwarten gehabt hätte, wenn die Verwertung seines Schutzrechts mit seiner Zustimmung erfolgt wäre. Diese Lizenzzahlung hätte dem Rechtsinhaber als Vermögensvorteil zugestanden, wenn der Schädiger die Lizenzberechtigung eingeholt hätte.

Wird üblicherweise für die Verwertung eines Schutzrechts ein Pauschalbetrag als Lizenzgebühr vereinbart, so ist auch in dieser Höhe Schadensersatz zu leisten. Die Ersatzpflicht in Höhe der angemessenen pauschalen Lizenzgebühr ist in einem solchen Falle grundsätzlich nicht abhängig davon, ob der Schädiger über die festgestellte rechtswidrige Verwertung hinaus das Schutzrecht genutzt hat oder ob und für welchen Zeitraum ihm die Chance der Schutzrechtsverwertung verblieben ist. Auch wenn - wovon mit der Revision für den Streitfall auszugehen ist - die Pauschallizenz für die Verwertung von Lichtbildern erfahrungsgemäß neben dem Recht auf Vervielfältigung jedenfalls das Recht einschließt, die Lichtbilder in der Öffentlichkeit zu verbreiten, hat der Verletzer den Pauschalbetrag für die ungeteilte Lizenz auch dann zu zahlen, wenn es nicht zu einer Verbreitungshandlung kommt (BGH, Urt. v. 16.11.1989 - I ZR 15/88, GRUR 1990, 353, 355 - Raubkopien; vgl. auch BGH, Urt. v. 22.3.1990 - I ZR 59/88, GRUR 1990, 1008, 1009 - Lizenzanalogie). Soweit dagegen angeführt wird (Rogge, Festschrift Nirk, S. 929, 946), es sei nicht angemessen, den nur kurzfristig und wenig intensiv handelnden Verletzer mit dem gleichen Pauschallizenzbetrag zur Schadensersatzhaftung heranzuziehen wie denjenigen, der intensiv das Schutzrecht verletzt habe, ist darauf hinzuweisen, daß in den Fällen, in denen üblicherweise eine Pauschallizenz vereinbart wird, der entstandene Schaden gerade nicht von der Intensität der Benutzungshandlung des Verletzers abhängig ist. Eine andere, auf die Häufigkeit der Benutzungshandlungen abstellende Betrachtung führte zu einer Bevorzugung des Schadensersatzverpflichteten im Vergleich zu dem aufgrund eines Lizenzvertrags Verwertungsberechtigten; letzterer ist nämlich ungeachtet der Feststellung, in welchem Maße er das Schutzrecht verwertet, zur Zahlung der Pauschallizenz verpflichtet. Nichts anderes kann aber für die Schadensberechnung im Wege der Lizenzanalogie gelten, die auf einer Fiktion eines Lizenzvertrags der im Verkehr üblichen Art beruht (BGH - Lizenzanalogie aaO). Die Verpflichtung zur Zahlung der als angemessen angesehenen Pauschallizenz bleibt auch dann bestehen, wenn infolge der Vernichtung der unrechtmäßig hergestellten Werkstücke deren Verwertung unmöglich wird (BGH - Raubkopien aaO).

4. Der Revision kann auch nicht darin beigetreten werden, der Klägerin sei die Geltendmachung ihres Schadensersatzanspruchs nach den Grundsätzen von Treu und Glauben verwehrt, weil diese selbst ohne Einwilligung des Beklagten die Fotos seiner Inszenierung hergestellt habe.

Das Vorbringen der Revision steht in Widerspruch zu den vom Berufungsgericht im unstreitigen Teil des Tatbestands getroffenen Feststellungen, wonach die Klägerin mit Erlaubnis des Beklagten von fünf Produktionen fotografische Aufnahmen hergestellt hatte, u.a. die streitigen Dias. Da diese Feststellung nicht Gegenstand eines Tatbestandsberichtigungsantrags war (§ 320 ZPO) , kann sie von der Revision nicht in Frage gestellt werden. Es bedarf daher keiner Stellungnahme dazu, ob die Klägerin mit der Herstellung der streitigen Dias überhaupt ein Vervielfältigungsrecht des Beklagten an seinen Inszenierungen in urheberrechtlich relevanter Weise (§§ 73, 75, 16 Abs. 2 UrhG) genutzt hat (vgl. hierzu Schricker/Krüger, Urheberrecht, § 75 Rdn. 7; LG München I GRUR 1979, 852).

5. Gegen die Höhe der Lizenzberechnung erhebt die Revision keine Rügen. Das Berufungsurteil läßt einen Rechtsfehler zum Nachteil des Beklagten auch nicht erkennen.

III. Nach alledem ist die Revision des Beklagten mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.

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