Nordrhein-Westfalen: Düsseldorf

„Apo-Flyer“ – wettbewerbswidrige Gesundheits-Werbung

Urteil vom OLG Düsseldorf

Entscheidungsdatum: 13.07.2010
Aktenzeichen: I-20 U 17/10

Leitsätze

Das Bewerben eines Produktes, dessen gesundheitliche Wirkung nicht hinreichend wissenschaftlich belegt ist, ist dann gemäß §§3, 4 Nr. 11 UWG in Verbindung mit § 11 I S. 2 Nr. 2 LFGB zu unterlassen, wenn der angesprochene Verkehrskreis durch die Werbung fälschlicherweise von dieser Wirkung ausgeht und somit in die Irre geführt wird.

Tenor

Die Berufung des Beklagten gegen das am 25. Januar 2010 verkündete Urteil der 2. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Mönchengladbach wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass sich das Verbot unter 1. im Tenor des angefochtenen Urteils nur auf die Verwendung des angegriffenen Werbeflyers gegenüber Apothekern bezieht.

Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 15.000,-- Euro abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in dieser Höhe leistet.

Gründe

A.

Der Kläger greift die Werbung des Beklagten, eines Apothekers, für ein von diesem vertriebenes Produkt namens "M.-B." an. Gegenstand des Verbotsantrags ist die Werbung, wie sie aus dem Werbeflyer des Beklagten zu diesem Produkt ersichtlich ist. Der Flyer ist im Klageantrag und Tenor des landgerichtlichen Urteils wiedergegeben. Mit ihm warb der Beklagte gegenüber Berufskollegen, also anderen Apothekern, für sein Produkt. In der Sache geht es um die Frage, ob bzw. unter welchen Voraussetzungen es eine Übersäuerung des Köpers geben kann, welche gesundheitlichen Folgen dies hat und wie das beworbene (basische) Mittel hier helfen kann. Neben der Unterlassung dieser Werbung begehrt der Kläger auch die Erstattung von Abmahnkosten. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands erster Instanz wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil (Bl. 218 ff. GA) Bezug genommen.

Das Landgericht hat die Werbung nach Beweisaufnahme antragsgemäß verboten und den Beklagten zur Zahlung von Abmahnkosten verurteilt. Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung des Beklagten, mit der er seinen erstinstanzlichen Vortrag wiederholt und vertieft. Er macht insbesondere geltend, das erstinstanzlich eingeholte Gutachten sei nur unter dem Aspekt einer therapeutischen Wirkung des Produkts des Beklagten und damit der Behandlung einer Krankheit erstellt worden. Tatsächlich handele es sich bei dem Produkt um ein Nahrungsergänzungsmittel, das grundsätzlich nicht die Wirkung eines Arzneimittels haben dürfe. Das Landgericht verpflichte so den Beklagten zu einem Nachweis für Wirkungen, die das Produkt gar nicht haben dürfe. Darüber hinaus sei der "nutritive Wirkungsnachweis" erbracht, wie sich aus den vorgelegten Unterlagen ergebe. Darüber hinaus sei der Klageantrag unbestimmt, weil die angegriffene Werbung nur gegenüber Apothekern verwendet werde, was bei dem erstrebten Verbot nach dem ursprünglichen Klageantrag nicht zum Ausdruck komme.

Der Kläger beantragt, unter Abänderung des angefochtenen Urteils

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er wiederholt und vertieft ebenfalls seinen erstinstanzlichen Vortrag.

B.

Die zulässige Berufung des Beklagten hat in der Sache keinen Erfolg. Das Landgericht hat die geltend gemachten Ansprüche auf Unterlassung und Erstattung von Abmahnkosten zu Recht zuerkannt.

I.

Die Klage ist nicht deshalb unzulässig, weil der Klageantrag unbestimmt wäre. Angegriffen ist die Werbung mit Aussagen zu Wirkungen eines Lebensmittels, die nach der Auffassung des Klägers nicht hinreichend wissenschaftlich belegt sind. Dabei hat der Kläger sein Begehren von vornherein auf den konkreten Verletzungsfall beschränkt und beantragt lediglich, den konkret vom Beklagten verwendeten Werbeprospekt zu verbieten. Das ist ohne weiteres zulässig, zumal sich dann Fragen nach möglichen Verallgemeinerungen und nach der Begehungsgefahr hinsichtlich der Verwendung einzelner, aus dem vorliegenden Zusammenhang herausgegriffener Teilaussagen aus dem Flyer nicht stellen. Soweit der Klageantrag ursprünglich seinem Wortlaut nach auf das Verbot einer Verwendung des Flyers gegenüber einem unbestimmten Personenkreis abgezielt haben könnte, hat der Kläger dies in der mündlichen Verhandlung dahin klargestellt, dass lediglich ein Verbot der Verwendung gegenüber Apothekern erstrebt werde. Das entspricht unstreitig dem tatsächlichen Einsatz des Werbeflyers durch den Beklagten. Im Übrigen besteht zwischen den Parteien kein Streit über die – vom Landgericht einzeln aufgeführten – Punkte, die der Kläger aus dem Flyer beanstandet. In den Klageantrag brauchen sie nicht aufgenommen zu werden.

II.

Die Klage ist auch begründet, wie das Landgericht zu Recht entschieden hat. Dabei ist – wie bereits angedeutet – entgegen dem Eindruck, den das landgerichtliche Urteil erwecken kann, nicht maßgeblich, ob sämtliche im angegriffenen Urteil aufgeführten Einzelaussagen für sich zu beanstanden sind. Vielmehr greift der Kläger diese Aussagen nicht – von dem konkreten Verletzungsfall abstrahierend – einzeln, sondern in ihrer Gesamtheit und so an, wie sie in dem Werbeflyer des Beklagten verwendet werden. Vor diesem Hintergrund besteht der Klageanspruch auf Unterlassung, den der Kläger zu Recht auf § 8 Abs. 1, §§ 3, 4 Nr. 11 UWG mit § 11 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 LFGB stützt. Gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 LFGB ist es verboten, Lebensmittel unter irreführender Bezeichnung, Angabe oder Aufmachung in den Verkehr zu bringen oder für Lebensmittel allgemein oder im Einzelfall mit irreführenden Darstellungen oder sonstigen Aussagen zu werben. Nach § 11 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 LFGB liegt eine Irreführung insbesondere dann vor, wenn einem Lebensmittel Wirkungen beigelegt werden, die ihm nach den Erkenntnissen der Wissenschaft nicht zukommen oder die wissenschaftlich nicht hinreichend gesichert sind. Streitgegenstand ist, ob die Angaben des Beklagten in dem angegriffenen Werbeflyer zu seinem Produkt in diesem Sinne irreführend sind. Dagegen vertritt niemand, insbesondere auch das Landgericht entgegen der missverständlichen Darstellung in der Berufungsbegründung nicht, die Auffassung, das Produkt des Beklagten stelle ein Arzneimittel dar (und dürfe wegen der fehlenden arzneimittelrechtlichen Zulassung nicht als solches vertrieben werden). Vielmehr stellt niemand in Frage, dass es sich bei dem Produkt des Beklagten – wie von ihm selbst auch vertreten – um ein Nahrungsmittel (eventl. ein Nahrungsergänzungsmittel, das aber ebenfalls Lebensmittel ist, vgl. § 1 Abs. 1 NemV) handelt.

In diesem Rahmen geht es um die Irreführung, die wissenschaftlich nicht hinreichend belegte Aussagen zu gesundheitlichen Wirkungen eines Produkts zur Folge haben können. In dem angegriffenen Werbeflyer und auch in den vom Kläger hervorgehobenen, besonders beanstandeten Teilen finden sich auch allgemeine Aussagen über die Möglichkeiten einer Übersäuerung und einer damit einhergehenden "Verschlackung"; ob derartige Aussagen in allgemeiner Form zutreffen, ist aber entgegen der etwas missverständlichen Darstellung des Landgerichts für sich nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens. Die Richtigkeit derartiger naturwissenschaftlicher Aussagen, die unabhängig von dem Produkt des Beklagten aufgestellt werden können, ist im vorliegenden Verfahren in allgemeiner Form nicht zu klären. Diese allgemeineren Darstellungen sind lediglich mittelbar insoweit von Bedeutung, als ein positiver Einfluss des beworbenen Präparats hierauf und daraus folgende positive gesundheitliche Wirkungen behauptet werden.

Vor diesem Hintergrund ist die Werbung insgesamt zu verbieten. Sie erweckt den Eindruck, als gebe es ein grundsätzliches Problem, das in einer Übersäuerung bestehe, die der Text auch mit unklarer Begrifflichkeit "Verschlackung" nennt. So komme es nicht nur zu einer kurzfristigen, sondern "meistens ... zu einer dauerhaften Übersäuerung mit gravierenden Folgen". Dabei soll ein Teil der Säure im Bindegewebe deponiert werden, was dessen "panzerartige Verhärtung" zur Folge haben soll; hierin sieht der Beklagte eine der Ursachen für die "Orangenhaut" (Cellulite). "Nur" durch eine Kombination von Kalium- und Magnesiumcitrat, wie sie in dem Produkt des Beklagten enthalten ist, werde – so die Werbung – ein umfassender Schutz sichergestellt.

Diese Aussagen sind in ihrer Allgemeinheit wissenschaftlich keineswegs hinreichend gesichert, wie aus den Ausführungen des erstinstanzlich beauftragten gerichtlichen Sachverständigen Dr. P. (schriftliches Gutachten vom 25.2.2009, Bl. 134 ff. GA, und schriftliche Ergänzung vom 11.9.2009, Bl. 188 ff. GA) folgt. Dabei ist nochmals zu betonen, dass es nicht darauf ankommt, ob die Werbeaussagen zu dem Produkt aus wissenschaftlicher Sicht richtig oder falsch sind. Diese Frage ist entgegen dem Eindruck, den die schriftsätzliche Diskussion der Parteien erweckt, nicht entscheidungserheblich. Maßgeblich ist vielmehr die Frage, ob mit der Darstellung in dem Werbeflyer dem Produkt des Beklagten Wirkungen beigelegt werden, die wissenschaftlich nicht hinreichend gesichert sind im Sinne des § 11 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 LFGB.

Das ist der Fall, wie sich aus den Darlegungen des Landgerichts im einzelnen ergibt. Nach den Ausführungen des Sachverständigen kann die Aufnahme von Kaliumbasen in bestimmten Zusammenhängen einen positiven Effekt haben. Genannt sind die Osteoporosevorsorge bei post-menopausalen Frauen, die Bildung bestimmter Nierensteine und der Muskelstoffwechsel bei chronischer Nierenerkrankung (Bl. 137 GA). Diese Sonderfälle können nach den Darlegungen des Sachverständigen jedoch nicht verallgemeinert und nicht dazu verwendet werden, einen positiven Effekt auch bei Gesunden darzustellen, wie es der Werbeflyer suggeriert. Auch im Übrigen sind die angeblichen Auswirkungen der Aufnahme von Basen ergänzend zu der normalen Ernährung keineswegs wissenschaftlich hinreichend gesichert. Das wird etwa deutlich anhand der angeblichen Wirkung des Produkts des Beklagten auf Cellulite. Die Werbung sieht eine der Ursachen hierfür in einem "übersäuerten Gewebe", das "panzerartig verhärtet" werde, und fährt fort: "Eine ausreichende M.-B.-Zufuhr schützt vor Säuren im Bindegewebe und ist ideal zur Unterstützung einer Cellulite-Behandlung." Hierzu schreibt der Sachverständige, diese Aussage zu den Ursachen der Cellulite sei "unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten nicht belegbar" (Bl. 139 GA). Entsprechendes gilt für die Ausführungen zur Gewichtsreduktion. Hier soll das Produkt des Beklagten "die Säurebremse lösen", wodurch die Fettverbrennung und folglich auch das Abnehmen erleichtert werden soll. Hierzu schreibt der Sachverständige, die Datenlage hinsichtlich des Nutzens eine Basen-Supplementation bei diätetischen Maßnahmen zur Gewichtsreduktion sei "sehr dünn" (Bl. 142 GA). Eine wissenschaftliche Basis für die Werbeaussagen gebe es nicht. Der Senat sieht keinen Anlass, diese Äußerungen des Sachverständigen in Zweifel zu ziehen. Die vom Beklagten, auch im Berufungsverfahren, zur Stützung seiner Ansicht vorgelegten Unterlagen, insbesondere das Gutachten V. vom 19. April 2010 (Anlage B 23), stellen vor diesem Hintergrund weitere Meinungsäußerungen in dem wissenschaftlichen Streit dar, vermögen eine inzwischen etwa erfolgte hinreichende wissenschaftliche Absicherung der Darstellung in dem Werbeflyer indes nicht zu belegen.

Der Vorwurf der Berufungsbegründung, der Sachverständige habe das Mittel des Beklagten, das er selbst als Nahrungsergänzungsmittel bezeichnet, in unzulässiger Weise "unter dem Aspekt der therapeutischen Wirkung beurteilt", geht fehl. Anknüpfungspunkt der rechtlichen Prüfung ist – wie bereits dargelegt – § 11 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 LFGB, der auf die Angabe wissenschaftlich nicht hinreichend gesicherter Wirkungen eines Lebensmittels abzielt. Genau hierzu verhalten sich die Ausführungen des Sachverständigen, besonders klar hinsichtlich der oben herausgegriffenen Punkte. Es geht auch nicht um einen Wirksamkeitsnachweis im Sinne des § 14b Abs. 1 Satz 2 DiätV. Deshalb geht der Verweis der Berufung auf das Urteil des Senats vom 6. Oktober 2009 (I-20 U 97/09, ZLR 2010, 87) fehl. Soweit die Berufung auf die Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben über Lebensmittel verweist, geht auch dies fehl. Gemäß Artikel 6 Abs. 1 dieser Verordnung müssen sich nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben auf allgemein akzeptierte wissenschaftliche Erkenntnisse stützen und durch diese abgesichert sein. Davon kann – wie dargelegt – keine Rede sein.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die Beschränkung des Verbots auf eine Verwendung des Flyers gegenüber Apothekern stellt kein Teilunterliegen des Klägers dar, sondern entspricht nur – klarstellend – dem von Anfang an Gewollten, nämlich einem auf den konkreten Verletzungsfall bezogenen Verbot. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.

Streitwert für das Berufungsverfahren: bis 30.000,-- Euro, folgend der Festsetzung des Landgerichts.

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