OLG Hamm: Koordinierte und abgestimmte Mehrfachabmahnungen stellen Rechtsmissbrauch dar

OLG Hamm: Koordinierte und abgestimmte Mehrfachabmahnungen stellen Rechtsmissbrauch dar
von Marina Alt
22.02.2012 | Lesezeit: 4 min

Das OLG Hamm urteilte (Urteil vom 03.05.2011, Az.: I-4 U 9/11), dass eine Mehrfachverfolgung desselben Verstoßes durch mehrere Gläubiger, koordiniert und abgestimmt von einem Rechtsanwalt, rechtsmissbräuchlich sei, da sie allein zum Ziel habe, den Antragsgegner mit Kosten und Risiken zu belasten.

Sachverhalt:

Der spätere Antragsgegner mahnte den späteren Antragsteller sowie weitere 25 Mitbewerber wegen „alter“ Widerrufsbelehrungen ab.

Daraufhin wandte sich der Antragsteller an den Rechtsanwalt H, der im Internet dazu aufforderte, sich nach einer Abmahnung des Antragsgegners anwaltlich beraten zu lassen. Für den Antragsteller sowie für weitere fünf vom Antragsgegner abgemahnte Mandanten mahnte der Rechtsanwalt H den Antragsgegner wegen nahezu identischer Verstöße ab. Diese Abmahnungen wurden alle eines Zeitraums von 9 Tagen getätigt.

Nachdem der Antragsgegner einigen Gegenabmahnern gegenüber strafbewehrte Unterlassungserklärungen abgegeben hatte, wurde der Antragsgegner erneut vom Antragsteller und einigen anderen Mandanten durch denselben Rechtsanwalt wegen derselben Vorwürfe abgemahnt. Nachdem der Antragsgegner die Abagbe erneuter Unterlassungserklärungen abgelehnt hatte, erwirkte unter anderem der Antragsteller vor dem LG Bochum eine einstweilige Verfügung, welche auch nach Einlegung eines Widerspruchs durch den Antragsgegner vom Gericht aufrechterhalten wurde. Hiergegen richtete sich der Antragsgegner mit seiner Berufung.

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Entscheidung:

Das OLG Hamm entschied, dass derjenige, der im Rahmen einer Mehrfachverfolgung wegen desselben Verstoßes durch koordiniertes und abgestimmtes Handeln einer Interessengemeinschaft gegen einen Mitbewerber vorgehe, rechtsmissbräuchlich handle. Denn hiermit verfolge die Interessensgemeinschaft lediglich sachfremde Ziele, nämlich den Antragsgegner mit hohen Kosten und Risiken zu belasten sowie seine personellen und finanziellen Kräfte zu binden.

Die Abmahnung des Antragstellers sei im Zusammenhang mit den durch Rechtsanwalt H für die anderen Gläubiger vorgenommenen Abmahnungen zu sehen. Zwar stelle eine Mehrfachverfolgung eines Anspruchs, sei es auch durch denselben Anwalt, nicht per se eine missbräuchliche Handlung dar. Jedoch sei dies anders zu bewerten, wenn sie auf einem zentral koordinierten und abgestimmten Verhalten der Gläubiger beruhe, nicht vernünftig begründbar sei und die Kosten für den Schuldner unangemessen erscheinen.

Die Mehrfachverfolgung sei durch den gemeinsamen Rechtsanwalt abgestimmt und koordiniert worden. Hierfür spreche, dass alle Abmahnenden dieselben Verstöße in sehr engem zeitlichem Zusammenhang durch denselben Rechtsanwalt abmahnten und aufgrund einer „Retourkutsche“ handelten. Es sei irrelevant, ob der Antragsteller selbst Kenntnis von den Einzelheiten der Koordinierung bzw. Abstimmung der Abmahnungen gehabt habe. Denn nach dem Rechtsgedanken des § 166 BGB analog werde ihm das Wissen ihres Rechtsanwaltes zugerechnet. Zwar sei bei Missbrauchstatbeständen grundsätzlich auf das Wissen der Partei (des Antragstellers) selbst abzustellen. Etwas Anderes gelte jedoch, wenn die Partei dem Anwalt die gesamte Informationsbeschaffung und die gesamte Organisation überlasse.

Zwar ist bei der Beurteilung des rechtsmissbräuchlichen Verhaltens regelmäßig auf die Motivation der betreffenden Partei abzustellen. Anderes gilt aber, wenn die Partei dem Anwalt die erforderliche Informationsbeschaffung, den Austausch der Informationen mit Gleichgesinnten und eine Koordinierung des Vorgehens überlässt, wie es hier nach den objektiven Umständen der Fall war.

Durch die koordinierten Abmahnungen entstehe zwar keine Konzernsalve, da die Gläubiger wirtschaftlich nicht miteinander verflochten seien. Die Gläubiger stellen jedoch eine Interessengemeinschaft dar, die konzertiert gegen den Antragsgegner vorgehe.

Für die gemeinsame Mehrfachverfolgung gebe es auch keinen vernünftigen Grund. Denn bei gleichen Verstößen sei eine Abmahnung durch einen Mandanten ausreichend, da bereits eine ernsthafte Unterlassungserklärung die Wiederholungsgefahr beseitige. Das nochmalige Auffordern zur Abgabe einer Unterlassungserklärung sowie auch die Vollstreckung der Vertragsstrafe durch gleich drei der Mandanten lasse darauf schließen, dass einziges Ziel die Erhöhung von Risiken und Kosten auf Seiten des Antragsgegners gewesen sei.

Fazit:

Das OLG Hamm stellt klar, dass eine Mehrfachverfolgung nicht nur im Rahmen einer Konzernsalve, sondern auch im Rahmen einer Interessengemeinschaft, rechtsmissbräuchlich sein kann. Es verdeutlicht, dass ein Mandant sich nicht hinter dem Wissen seines Anwaltes „verstecken“ kann, da ihm das Wissen des Anwalts zugerechnet wird. Das Urteil zog folgende Indizien für den Rechtsmissbrauch heran:

1) Alle Abmahnenden handelten aufgrund einer Retourkutsche.

2) Die Abmahnungen wurden gesammelt und koordiniert sowie in zeitlichem Zusammenhang von ein und demselben Rechtsanwalt vorgenommen.

3) Es wurde von allen Abmahnenden derselbe bzw. ein sehr ähnlicher Verstoß moniert.

4) Eine einzige Verfolgung des Anspruchs von einem Mitbewerber hätte bereits zum Ziel, nämlich der Unterlassung des Verstoßes, geführt.

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