Wirkungsaussagen für Kinesio-Tapes stellen nach LG Konstanz irreführende Leistungsversprechen dar
Das LG Konstanz hat am 08.07.2013 in der Rechtssache Az.: 9 O 26/13 entschieden, dass die Werbung für Kinesio-Tapes nach dem medizinprodukterechtlichen Vorschriften als irreführend zu werten sind, da die beworbenen Wirkungsaussagen nicht durch wissenschaftliche Studien belegt seien. Des Weiteren urteilte das Gericht, dass wissenschaftliche Studien aus dem Bereich der medizinischen Forschung vor Gericht nur dann als Beweise verwertbar seien, wenn das diese in der Gerichtssprache deutsch verfasst sind, so dass das Gericht den Inhalt der Studien verstehen kann.
Inhaltsverzeichnis
I. Sachverhalt
Ein Onlinehändler bot auf seiner Website Kinesio-Tapes zum Kauf an, des Weiteren bot der Händler Lernkurse für Kinesiologie-Tapings an, hierbei bewarb der Onlinehändler seine Leistungen mit den nachstehenden Wirkungsaussagen:
"
• Durch Kinesiologie Taping kann der Heilprozess von Verletzungen eine Schmerzlinderung (...) herbeigeführt werden
• Durch Kinesiologie Taping kann (...) eine Verbesserung der Belastbarkeit herbeigeführt werden
• Sie können mit Hilfe einer Tapeanlage ihre Schmerzen (...) lindern
• Sie können mit Hilfe einer Tapeanlage (...) Bewegungseinschränkungen lindern
• So ist es beispielsweise möglich, Kopfschmerzen, Migräne (...) zu behandeln
• So ist es beispielsweise möglich (...) Arthrose (...) zu behandeln
• So ist es beispielsweise möglich (...) muskulären Hartspann (...) zu behandeln
• So ist es beispielsweise möglich (...) Bandscheibenprobleme (...) zu behandeln
• So ist es beispielsweise möglich (...) Lymphödeme (...) zu behandeln
• So ist es beispielsweise möglich (...) Menstruationsbeschwerden (...) zu behandeln"
Der Onlinehändler wurde von einem Wettbewerbsverein abgemahnt und aufgefordert, die vorstehenden gesundheitsfördernden Wirkungsaussagen im Zusammen mit Kinesio-Taping zu unterlassen. Nachdem der Onlinehändler hierauf hin keine Unterlassungserklärung abgegeben hatte, verfolgt der Wettbewerbsverein die Unterlassungsansprüche vor dem LG Konstanz im Rahmen einer einstweiligen Verfügung und der Begründung, dass die Wirksamkeitsaussagen des Kinesio-Tapings wissenschaftlich nicht erwiesen seien. Der Onlinehändler wandte sich gegen den Erlass der einstweiligen Verfügung mit einem Widerspruch und legte dem Gericht zum Nachweis der getätigten Wirkungsaussagen mehrere englischsprachige medizinische Studien vor, sowie eine Facharbeit eines Studenten, welche in deutscher Sprache abgefasst war. Zusätzlich versuchte der Onlinehändler die getätigten Wirkungsaussagen mit zwei Erfahrungsberichten von Ärzten zu belegen.
II. Entscheidung des LG Konstanz
Das LG Konstanz bestätigte den Erlass der einstweiligen Verfügung und hielt die erlassene einstweilige Verfügung durch Urteilsspruch aufrecht (Urteil vom 08.07.2013, Az.: 9 O 26/13). Das LG Konstanz leitete den Unterlassungsanspruch aus §§ 3, 4 Nr. 11, 5 Abs. 1 Nr. 1, 8 Abs. 1 UWG i.V.m. §§ 2 Abs. 1 und Abs. 5 Nr. 1, 3 Nr. 1, 4 Abs. 2 Nr. 1 Medizinproduktegesetz her. Das Gericht führte in seinen Entscheidungsgründen aus:
"Gemäß § 3 HWG liegt eine unzulässige irreführende Werbung insbesondere dann vor, wenn Arzneimitteln Wirkungen beigelegt werden, die sie nicht haben. Insoweit sind - wie allgemein bei gesundheitsbezogener Werbung - strenge Anforderungen an die Richtigkeit, Eindeutigkeit und Klarheit der Werbeaussagen zu stellen, da mit irreführenden gesundheitsbezogenen Angaben erhebliche Gefahren für das hohe Schutzgut des Einzelnen sowie der Bevölkerung verbunden sein können."
Bei gesundheitsbezogener Werbung sei eine Angabe also nur dann zulässig, wenn sie gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnisse entspräche. Das LG Konstanz führte unter Berufung auf den BGH (Urteil vom 06.02.2013, Az.: I ZR 62/11) weiter aus:
"Diese Voraussetzung ist nicht gegeben, wenn dem Werbenden jegliche wissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse fehlen, die die werbliche Behauptung stützen können. Unzulässig ist es aber auch, wenn mit einer fachlichen (noch) umstrittenen Meinung geworben wird, ohne die Gegenmeinung zu erwähnen."
Die Beweislast der ungesicherten wissenschaftlichen Erkenntnislage träfe zwar grundsätzlich den Kläger und nicht den Werbenden, doch kehre sich diese Beweislast dann um, wenn der Werbende mit umstrittenen Meinungen wirbt ohne die Gegenmeinungen darzustellen. In solch einem Fall übernimmt der Äußernde dadurch, dass er eine bestimmte Aussage trifft, die Verantwortung für die Richtigkeit der Werbeaussagen, die der Äußernde dann im Streitfall auch beweisen müsse.Der Onlinehändler legte dem LG Konstanz zwar medizinische Studien vor, die seine Angaben wissenschaftlich untermauern sollten. Allerdings waren diese Studien teilweise in englischer bzw. niederländischer Sprache abgefasst. Das LG Konstanz dazu:
"[...] beiden Verfahrensbeteiligten [ist] bewusst, dass nach § 184 Satz 1 GVG die Gerichtssprache deutsch ist und daher in der medizinischen Fachwelt meist in englischer Sprache abgefasste Studien [...] keine tauglichen Mittel zur Glaubhaftmachung des wissenschaftlichen Nachweises der Wirkung von Kinesio-Tapes [...] sind. [...] Gerade in dem äußerst komplexen Bereich der medizinischen Forschung kann die Kammer selbst aber nur deutschsprachige Texte auswerten."
Auch die in deutscher Sprache vorgelegten medizinischen Studien ließen einzig den Schluss zu, dass die Wirkung von Kinesio-Tapes umstritten sei. Im Übrigen seien Erfahrungsberichte von Ärzten oder gar Patienten für einen solchen Nachweis völlig ungeeignet. Dem LG Konstanz zufolge entsprächen derartige Aussagen
"in keinster Weise wissenschaftlicher Forschung, sondern vielfach recht subjektiv geprägten Einschätzungen. Stand der Wissenschaft sind dagegen randomisierte placebo-kontrollierte Doppelblindstudien."
Das LG Konstanz kam also zu dem Schluss, dass der Onlinehändler mit einer Wirkungsangabe warb, die noch nicht gesicherter medizinischer Erkenntnislage entspricht. Und wie oben ausgeführt, hat ein derartig Werbender dann auch die Gegenmeinung zu erwähnen. Und zur Darstellung einer solchen Gegenmeinung seien Worte wie „können“ oder „möglich sein“ nicht ausreichend.
"Es entspricht der gerichtsbekannten Art von Wirksamkeitsnachweisen auch bei der Zulassung von pharmazeutischen Medikamenten, dass sie im Vergleich zu einer nicht mit dem Medikament behandelten Kontrollgruppe signifikant häufiger bestimmte Heilungen zeigen, nicht aber das sie in jedem Fall und bei jedem Patienten wirken würden. Insoweit sagt die Aussage, ein bestimmtes Mittel „könne“ Schmerzen lindern nicht aus, dass seine Wirkungsweise wissenschaftliche noch umstritten sei."
so das Landgericht Konstanz.
III. Fazit
Medizinprodukte dürfen nur dann mit Angaben zu ihrer Wirkung beworben werden, wenn diese Angabe der medizinisch gesicherten Erkenntnislage entspricht. Ist dies nicht der Fall, ist im Rahmen der Wirkungsaussagen zumindest auch ein Hinweis auf die wissenschaftliche Gegenmeinung anzubringen, mithin ist mitzuteilen, dass die Wirkungsweise wissenschaftlich umstritten ist. Zum Nachweis dieser medizinisch gesicherten Erkenntnislage müssen vor einem deutschen Gericht die dazu notwendigen medizinischen Studien in deutscher Sprache vorgelegt werden, Erfahrungsberichte von Ärzten oder gar Patienten sind für einen solchen Nachweis nicht geeignet.
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