Kein Verbraucher-Widerrufsrecht bei schnell verderblichen Waren – Was zählt dazu?

Kein Verbraucher-Widerrufsrecht bei schnell verderblichen Waren – Was zählt dazu?
22.08.2023 | Lesezeit: 8 min

Viele Händler verkaufen – teils sehr hochpreisige – Lebensmittel über das Internet. Erklärt ein Verbraucher dann den Widerruf, steht die Frage im Raum, ob der Händler diesen akzeptieren muss. Das Gesetz schließt das Verbraucher-Widerrufsrecht bei schnell verderblichen Waren aus. Doch ist nicht klar und eindeutig geregelt, wann eine Ware als schnell verderblich anzusehen ist. Wir beleuchten die Rechtslage und stellen unseren Mandanten Musterformulierungen zur Kundenkommunikation zu Verfügung.

I. Wann ist das Widerrufsrecht bei schnell verderblichen Waren von Gesetzes wegen ausgeschlossen?

Grundsätzlich haben Verbraucher nach § 312g Abs. 1 BGB bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen und bei Fernabsatzverträgen ein Widerrufsrecht gemäß § 355 BGB.

Allerdings enthält § 312g Abs. 2 BGB eine Aufzählung von Verträgen zur Lieferung von bestimmten Produkten, bei denen ein Widerrufsrecht von Gesetzes wegen nicht besteht, soweit die Parteien jedenfalls nichts anderes vertraglich vereinbart haben.

Demnach besteht das Widerrufsrecht grundsätzlich auch nicht bei:

"Verträge[n] zur Lieferung von Waren, die schnell verderben können oder deren Verfallsdatum schnell überschritten würde."

II. Welchen Hintergrund hat dieser gesetzliche Ausschluss des Widerrufsrechts?

Das Verbraucher-Widerrufsrecht ist bei schnell verderblichen Waren gemäß § 312g Abs. 2 Nr. 2 BGB ausgeschlossen, weil der hiervon betroffene Händler bzw. Unternehmer die betreffenden Waren im Falle des Widerrufs wegen deren schneller Verderblichkeit nicht mehr, kaum noch oder zumindest nur mit erheblichen wirtschaftlichen Einbußen an andere Abnehmer vertreiben könnte.

Es wäre unverhältnismäßig und für den Händler bzw. Unternehmer letztlich untragbar, wenn Verbraucher Verträge über die Lieferung von schnell verderblichen Waren widerrufen könnten, deshalb auch nicht zur Zahlung des Kaufpreises verpflichtet wären, der Unternehmer die Ware dann aber nicht mehr wirtschaftlich sinnvoll verwerten könnte.

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III. Welche Waren sind schnell verderblich i.S.d. Gesetzes?

Solche schnell verderblichen Waren umfassen vor allem Lebensmittel. Etwas allgemeiner gefasst fallen Waren aus biologischen Stoffen darunter. Auch (bestimmte) Arzneimittel können im Einzelfall hiervon erfasst sein, abhängig von der Art des Arzneimittels und dessen Verderblichkeit bzw. Verfalls.

In jedem Fall ist aber Voraussetzung, dass die jeweiligen Lebensmittel, biologischen Stoffe oder Arzneimittel tatsächlich schnell verderben (können). Für welche Art von Produkten bzw. Produktkategorien dies anzunehmen ist, kann nicht pauschal festgelegt werden, sondern hängt tatsächlich vom jeweiligen Einzelfall ab.

Sicherlich aber fallen (tief) zu kühlende Produkte bzw. Produktarten eher hierunter als solche, die bloß kühl und trocken zu lagern sind. Gemäß dem Sinn und Zweck dieses gesetzlichen Ausschlusses des Widerrufsrechts geht es in jedem Fall um solche Produkte, die entweder bereits im Laufe der Widerrufsfrist verderben würden oder – im Falle des Widerrufs – bei einem erneuten Verkauf, wenn überhaupt, nur noch kurzfristig haltbar wären.

IV. Bei welchen Waren würde das Verfallsdatum schnell überschritten?

Der gesetzliche Ausschluss des Widerrufsrechts nach § 312g Abs. 2 Nr. 2 BGB greift nicht nur bei Waren, die schnell verderben können, sondern auch bei solchen Waren, deren Verfallsdatum schnell überschritten würde.

In aller Regel dürften sich die beiden Alternativen „schnell verderbliche Waren“ und „Waren mit Verfallsdaten, die schnell überschritten würden“ decken. Falls bestimmte Waren (vor allem: Lebensmittel) jedoch typischerweise an sich nicht besonders schnell verderben, aber dennoch bloß mit einem kurzen Verfallsdatum bzw. Mindesthaltbarkeitsdatum versehen sind, werden sie von dieser zweiten Ausschlussvariante erfasst.

Nicht möglich bzw. nicht akzeptiert ist allerdings, dass Unternehmer das Verfallsdatum bzw. Mindesthaltbarkeitsdatum ihrer Lebensmittel bewusst künstlich kurzhalten, um das Verbraucher-Widerrufsrecht auf diese Weise zu umgehen bzw. zu unterlaufen. Vielmehr greift der gesetzliche Ausschluss des Widerrufsrechts nur bei solchen Waren, deren kurzes Verfallsdatum bzw. Mindesthaltbarkeitsdatum nicht willkürlich festgelegt worden ist, sondern auf der Grundlage von anerkannten technischen Normen bestimmt wurde.

V. Wann genau ist eine Ware "schnell“ verderblich bzw. das Verfallsdatum "schnell" überschritten?

Bei nicht nur wenigen Produkten bzw. Produktarten wird man diskutieren oder sich sogar trefflich darüber streiten können, ob man sie als „schnell“ verderbliche Ware einzustufen hat oder nicht.

So werden etwa Gewürze, Tees und Kaffeebohnen, die jeweils mehrere Monate haltbar sind, eher nicht als schnell verderblich i.S.d. Vorschrift anzusehen sein, während z.B. Frischmilch, Joghurts und Wurstwaren sicherlich eher schnell verderbliche Lebensmittel sind – ggf. im Gegensatz wiederum zu monatelang haltbarer H-Milch.

In jedem Fall gilt: Als Ausnahmevorschrift muss § 312g Abs. 2 Nr. 2 BGB eng ausgelegt werden. Dies bedeutet, dass in Zweifelsfällen das Widerrufsrecht eher besteht, als dass es nicht besteht.

VI. Was sagt die Rechtsprechung hierzu?

In der Rechtsprechung hat der gesetzliche Ausschluss des Verbraucher-Widerrufsrechts nach § 312g Abs. 2 Nr. 2 BGB - soweit ersichtlich - bislang noch keine allzu große Rolle gespielt, so dass sich hieraus keine weiteren Erkenntnisse für die Auslegung dieses Ausschlussgrundes ableiten lassen.

Das OLG Sachsen-Anhalt hat in einem Fall entschieden, dass jedenfalls nicht pauschal alle Arten von Arzneimitteln vom gesetzlichen Ausschlussgrund erfasst werden (Urteil vom 22. Juni 2017, Az. 9 U 19/17). Zwar gebe es zweifellos Arzneimittel, die schnell verderben würden. Dies gelte jedoch nicht für alle Arzneimittel, so dass eine direkte Anwendung dieser Vorschrift auf alle Arzneimittel ausscheide.

Dies Sichtweise teilt in einem anderen Fall zudem auch das KG Berlin (Urteil vom 9. November 2018, Az. 5 U 185/17).

VII. Müssen Händler etwas für den Ausschluss des Widerrufsrechts tun?

Händler müssen in den Fällen des gesetzlichen Ausschlusses des Widerrufsrechts nichts tun, damit Verbrauchern das Widerrufsrecht nicht zusteht – das Widerrufsrecht ist in diesen Fällen bereits von Gesetzes wegen automatisch ausgeschlossen.

Umgekehrt bedeutet dies zudem, dass Händler in diesen Fällen über das - tatsächlich nicht bestehende - Widerrufsrecht auch nicht belehren müssen bzw. dürfen.

VIII. Was sollten Händler im Zusammenhang mit dem Ausschluss des Widerrufsrechts beachten?

Ob Händler die Verbraucher in ihrem Shop über das Bestehen des Widerrufsrechts belehren müssen, hängt beim Verkauf von verderblichen Waren somit davon ab, ob diese schnell verderben oder nicht.

Aus diesem Grund ist für Händler wichtig, die in ihrem Shop angebotenen Waren vorab daraufhin zu überprüfen, ob sie vor diesem Hintergrund dem Verbraucher-Widerrufsrecht tatsächlich unterfallen oder nicht. Zudem sollten Händler auch die Art und Weise, wie im Shop über das Widerrufsrecht belehrt wird, diesbezüglich ggf. anpassen. Dadurch sollte vermieden werden, dass sie in falscher Weise über das Widerrufsrecht informieren.

IX. Muster für Schreiben an Kunden bei Ausschluss des Widerrufsrechts bei schnell verderblichen Waren

Nicht allen Verbrauchern ist bewusst, dass das Verbraucher-Widerrufsrecht bei schnell verderblichen Waren und bei Waren, deren Verfallsdatum schnell überschritten würde, von Gesetzes wegen ausgeschlossen ist. Daher wird es bei betroffenen Händlern immer wieder zu jedenfalls einzelnen unberechtigten Widerrufen von Verbrauchern kommen.

Solche Widerrufe sollten Händler grundsätzlich nicht akzeptieren. Vielmehr sollten sie den betreffenden Verbrauchern freundlich, aber bestimmt mitteilen, dass im jeweiligen Fall tatsächlich kein Verbraucher-Widerrufsrecht besteht.

Für unsere Mandanten haben wir ein Muster vorbereitet, das sie für eine solchen Mitteilung gegenüber den Verbrauchern verwenden können:

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XI. Fazit

Bei Verträgen über die Lieferung von schnell verderblichen Waren bzw. von Waren, deren Verfallsdatum bzw. Mindesthaltbarkeitsdatum schnell überschritten würde, besteht von Gesetzes wegen nach § 312g Abs. 2 Nr. 2 BGB ausnahmsweise kein Verbraucher-Widerrufsrecht.

In welchen Einzelfällen das Widerrufsrecht auf diese Weise tatsächlich ausgeschlossen ist, lässt sich aber nicht immer ganz klar und eindeutig feststellen, was im Einzelfall zu Diskussionen und Streit mit Verbrauchern führen kann. Händler sollten sich daher bereits vorab fachkundig darüber informieren, bei welchen der von ihnen angebotenen Waren tatsächlich kein Widerrufsrecht besteht.

Wir unterstützen unsere Mandanten mit diversen Leitfäden, Mustern und sonstigen Inhalten im Rahmen unserer Schutzpakete.

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2 Kommentare

K
Kim 09.02.2023, 12:01 Uhr
GF
Ja, das Thema Topf-/Grün-Pflanzen würde uns auch sehr brenndend interessieren! Insb. wenn Kunden via Amazon bestellte Pflanzen nach drei Wochen wieder an uns zurücksenden, diese inzwischen dann aber völlig vertrocknet oder "verhungert" sind, weil sie die ganze Zeit verwahrlost im Versandkarton vor sich hin kümmern mussten... Aber die Kunden streiten den Zustand natürlich stets ab bzw. wir als Händler müssten irgendwie beweisen können, dass die Pflanzen im einwandfreien Zustand bei uns raus gingen und nun der Zustand der Ware nicht mehr dem urpsünglichen entspricht. Wie soll das gehen?!?
P
Patrick 25.01.2023, 09:32 Uhr
Pflanzen
Haben Sie hierzu auch einen Hinweis bzgl. Pflanzen? Diese sind im Grunde auch verderblich (bei langen Lieferwegen, Rücksendungen, etc.) haben jedoch kein Mindesthaltbarkeitsdatum.

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