Gesetzgeberische Irrfahrt: die Verfehlung der für alle Händler ab dem 01.02.2017 geltenden Informationspflicht nach Streitentstehung mit Verbraucher

Gesetzgeberische Irrfahrt: die Verfehlung der für alle Händler ab dem 01.02.2017 geltenden Informationspflicht nach Streitentstehung mit Verbraucher
05.01.2017 | Lesezeit: 8 min

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Zum 01.04.2016 ist in Deutschland das Gesetz über die alternative Streitbeilegung in Verbrauchersachen (VSBG) in Kraft getreten, das grundsätzliche Vorgaben über die Organisation privater und behördlicher Schlichtungsstellen und die Abläufe von außergerichtlichen Schlichtungsverfahren zwischen Verbrauchern und Unternehmern enthält. Für letztere etabliert der Rechtsakt allerdings auch ab dem 01.02.2017 neue Informationspflichten in Form einer allgemeinen Hinweispflicht einerseits und einem besonderen Mitteilungszwang nach Entstehen einer Streitigkeit andererseits. Vor allem bei der Fassung der nachvertraglichen Informationspflicht hat der deutsche Gesetzgeber jedoch einmal mehr die Grenzen des Zumutbaren überschritten und eine weitgehend sinnbefreite Regelung geschaffen, deren immenser Auslegungsspielraum Händler zukünftig erhebliche Rechtsrisiken aufbürden wird.

I. Die Informationspflicht nach Streitentstehung gemäß §37 VSBG

§37 Abs. 1 Satz 1 VSBG, der zum 01.02.2017 unmittelbare Wirkung für alle Händler entfaltet, zwingt diese dazu, Verbraucher unter Angabe von Anschrift und Webseite auf eine zuständige Verpflichtungsstelle dann hinzuweisen, wenn eine Streitigkeit aus einem Verbrauchergeschäft nicht beigelegt werden konnte.

Diese Pflicht gilt grundsätzlich und unabhängig davon, ob der jeweilige Händler überhaupt zur Teilnahme an alternativen Streitbeilegungsverfahren bereit oder gesetzlich verpflichtet ist.

Nach §37 Abs. 1 Satz 2 VSBG muss die Mitteilung zudem den Hinweis enthalten, ob eine Bereitschaftserklärung für oder eine gesetzliche Verpflichtung zur Teilnahme besteht.

Ist der Händler gesetzlich zur Teilnahme am Verfahren bestimmt oder erklärt er sich freiwillig bereit, so ist gemäß §37 Abs. 1 Satz 2 VSBG anstelle „einer zuständigen Schlichtungsstelle“ vielmehr diejenige zu nennen, bei der potenzielle Verfahren seiner Verpflichtung oder Bereitschaft entsprechend durchzuführen sind.

Die Hinweise müssen in Textform (etwa per Brief, Mail oder auf einem anderen dauerhaften Datenträger im Sinne des §126b BGB) bereitgestellt werden.

Die Informationspflicht aus §37 VSBG wurde ebenso wie diejenige aus §36 in den Katalog der Verbraucherschutznormen des §2 UKlaG mit der Konsequenz aufgenommen, dass Verstöße fortan von Industrie- und Handelskammern sowie Verbraucherschutzverbänden abgemahnt werden können. Auch ist wahrscheinlich, dass die neuen Hinweiserfordernisse von den überwiegend im Interesse eines hohen Verbraucherschutzniveaus urteilenden deutschen Gerichten als „Marktverhaltensregelungen“ qualifiziert werden, deren fehlende oder unzulängliche Befolgung über §3a UWG auch von Mitbewerbern mit Abmahnungen geahndet werden kann.

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II. Inhaltliches Chaos und Sinnwidrigkeit der neuen Informationspflicht

In Anbetracht der vom Gesetzgeber mit der Aufnahme in das UKlaG geschaffenen Abmahnbewährtheit der Informationspflicht aus §37 VSBG wäre es seine Aufgabe gewesen, den abermals ins Kreuzfeuer genommenen Händlern im Gesetzestext eindeutige, verständliche und transparente Richtlinien an die Hand zu geben, mithilfe derer eine simple gesetzeskonforme Umsetzung möglich würde.

Leider ist die betreffende Regelung jedoch Ausdruck des kompletten Gegenteils und weiteres trauriges Zeugnis eines unbedachten Regelungswahns, welcher in einem strukturellen und inhaltlichen Wirrwarr gemündet hat und Händler so vor eine gravierende Rechtsunsicherheit stellt.

1.) Pflichtauslösendes Ereignis zeitlich nicht bestimmbar

Ausgelöst werden soll die Informationspflicht laut §37 Abs. 1 Satz 1 VSBG, wenn eine Streitigkeit aus einem Verbrauchervertrag nicht beigelegt werden konnte.

Nicht nur hat es der Gesetzgeber bei der Formulierung aber unterlassen, Beurteilungskriterien dafür bereitzustellen, ob überhaupt eine hinreichende Streitigkeit vorliegt und ob diese gegebenenfalls von bloßen, für die Durchführung des Vertrags unbeachtlichen Meinungsverschiedenheiten abzugrenzen ist. Zudem wurde offensichtlich übersehen, dass die „Beilegung“ einer Streitigkeit aufgrund deren Ambivalenz eine Tatsache ist, die von den Parteien weit überwiegend nicht einhellig beurteilt werden wird. Insofern scheint es wegen der verbleibenden Möglichkeit einer abweichenden Verbrauchersicht fast unmöglich für den Händler, die erzielte oder nicht erzielte Beilegung sicher abzuschätzen und so den für die Pflichtauslösung maßgeblichen Zeitpunkt zu bestimmen. Dies gilt auch deswegen, weil das Gesetz es versäumt, eine Aussage darüber zu treffen, wann eine nicht näher definierte Streitigkeit als (endgültig) nicht beigelegt anzusehen sein soll. Auch wenn eine Streitigkeit zunächst aussichtslos erscheint, verbleibt somit stets die Möglichkeit einer späteren Einigung mit der Folge, dass der Händler nie wissen kann, an welchem Punkt der Auseinandersetzung der Hinweispflicht tatsächlich nachzukommen ist.

Dies ist verheerend, weil das der Vorschrift immanente Abmahnpotenzial mit dem richtigen Zeitpunkt der Information steht und fällt und insbesondere verspätete Mitteilungen zu ruinösen Unterlassungsansprüchen führen können. Ist für den Händler aber zu keiner Zeit ersichtlich, wann und ob überhaupt eine aufkommende Streitigkeit als nicht beigelegt einzustufen ist, geht die tatbestandliche Unbestimmtheit zu seinen Lasten und bürdet ihm ein kaum eingrenzbares rechtliches Umsetzungsrisiko auf, das die hohe Wahrscheinlichkeit einer unzulänglichen Pflichtbefolgung logisch in sich trägt.

Faktisch böte sich, um das Haftungsrisiko zu begrenzen, zwar die Möglichkeit, den Pflichthinweis bereits nach einem einmaligen, streitbegründenden Schriftwechsel zu erteilen, um der Eventualität einer zu späten Mitteilung vorzubeugen. Fraglich ist aber bereits, ob nach Intention der Regelung, die für die Auslösung der Pflicht ausdrücklich auf die „Nichtbeilegung“ abstellt, verfrühte Hinweise nicht als ebenso gesetzeswidrig zu qualifizieren sein werden wie verspätete.

Alternativ wäre für den Händler auch denkbar, sich durch eine vorangegangene Mitteilung, mittels derer er bei ausbleibendem Widerspruch des Verbrauchers den Streit als „nicht beigelegt“ deklariert, abzusichern und daraufhin der Informationspflicht des §37 VSBG nachzukommen. Dies begründet allerdings nicht nur einen kaum zumutbaren Zeit- und Verwaltungsaufwand, sondern hebt prägnant auch die dürftige Konzeption des Gesetzes hervor, das letztendlich auf eine außergerichtliche Streitbeilegung und gerade nicht darauf abzielt, zur Erfüllung von Informationspflichten eine mangelnde Einigung zu propagieren.

2.) Anknüpfungspunkt der Zuständigkeit von Schlichtungsstellen fraglich

Im Rahmen der Mitteilung bei einer Streitigkeit, die „nicht beigelegt werden konnte“, soll der Händler den Verbraucher unter Angabe von Anschrift und Webseite auf die „für ihn“ zuständige Stelle hinweisen. Anstatt auf die vielfältigen, zur eindeutigen Differenzierung von Entfernungsgraden geeigneten Instrumentarien der deutschen Sprache zurückzugreifen und sich insofern der Demonstrativpronomen „dieser“ oder „jener“ zu bedienen, entschied sich der Gesetzgeber für eine sprachliche Ungenauigkeit mit nicht unerheblichen Konsequenzen für die Informationsverpflichteten. Die Formulierung „für ihn“ lässt nämlich offen, ob sich die Zuständigkeit der zu nennenden Schlichtungsstelle ausgehend von der Person des Händlers oder aber von derjenigen des Verbrauchers beurteilt. Händler werden durch den Wortlaut also im Unklaren darüber gelassen, ob sie die maßgebliche Stelle nach dem Kriterium ihrer Niederlassung oder nach demjenigen des Verbraucherwohnsitzes ermitteln müssen.

In Anlehnung an §4 VSBG, der den Rahmen für die Zuständigkeiten der Schlichtungsstellen vorgibt, spricht zwar einiges dafür, die Zuständigkeitsbegründung auf die Person des Unternehmers zu stützen. Nach der genannten Vorschrift sind Stellen nämlich ermächtigt, ihre Kompetenz zur Streitschlichtung auf bestimmte Unternehmer (und gerade nicht auf Verbraucher) zu beschränken.

Dennoch verbleibt aufgrund des gesetzgeberischen Formulierungsungeschicks ein nicht unerhebliches Risiko für den Händler, die Zuständigkeit einer Stelle unrichtig zu beurteilen und bei anschließender Falschangabe gegenüber dem Verbraucher mit Abmahnungen belegt zu werden.

3.) Grundlegende Sinnwidrigkeit der Regelung

Ungeachtet der inhaltlichen, mit erheblichen Rechtsunsicherheiten für Händler einhergehenden Mängel der neuen Informationspflicht ist nicht ersichtlich, welche verbraucherschützende Intention der Gesetzgeber mit der zusätzlichen informatorischen Bürde verfolgen wollte.

Festzuhalten ist nämlich, dass das Erfordernis der Nennung einer zuständigen Streitschlichtungsstelle gemäß §37 Abs. 1 Satz 1 VSBG für jeden Händler gleichermaßen gilt und gerade nicht daran anknüpft, ob dieser überhaupt am alternativen Streitbeilegungsverfahren teilnimmt oder teilnehmen muss. Weil eine Teilnahme für Unternehmer aber mit nicht unerheblichen Kosten einhergeht, ist gerade im kleinen und mittelständischen Bereich von einer weitgehenden Abstandnahme zu rechnen.

Sinnwidrige Konsequenz der gesetzlichen Neuregelung wird es also überwiegend sein, dass der Verbraucher zwingend Informationen zu einer Schlichtungsstelle erhalten soll, die er mangels Teilnahmebereitschaft des Unternehmers überhaupt nicht wird anrufen können. Er wird also regelmäßig die Anschrift und URL einer Stelle zusammen mit dem Hinweis empfangen, dass der Vertragspartner sich zur Verhandlung vor dieser Stelle nicht bereiterklärt.

Dies lässt die von Händlern geforderte Mitteilung aber zu einer bloßen Förmelei verkommen, die für das Abhilfegesuch des Verbrauchers mangels tatsächlicher Inanspruchnahmemöglichkeit in den wenigsten Fällen förderlich sein wird und nicht nur Verwirrung stiften, sondern gar wie ein unternehmerischer Hohn anmuten dürfte. Dass dies das aufgrund des Streits ohnehin schon angespannte Geschäftsverhältnis nicht entschärfen, sondern eher einen gegenteiligen Effekt auslösen wird, liegt auf der Hand.

Gerade in Anbetracht der massiven Abmahnrisiken, welche der §37 VSBG aufgrund seiner Konzipierungsmängel mit sich bringt, wäre der Gesetzgeber gefordert gewesen, auf Basis von Statistiken über die tatsächliche Akzeptanz der alternativen Streitbeilegung im unternehmerischen Bereich die Sinnhaftigkeit neu begründeter Informationspflichten zu überprüfen, um nicht unter dem Deckmantel des alles rechtfertigenden Verbraucherschutzes das geltende Recht um offensichtliche Zweckverfehlungen anzureichern, die Gewerbetreibende einseitig belasten und Verbrauchern keine Besserstellung bringen.

III. Fazit

Mit dem §37 VBSG hat der Gesetzgeber den Pflichtenkreis von Händlern einmal mehr um neue Erfordernisse angereichert und zwingt sie ab dem 01.02.2017 unter anderem dazu, unabhängig von einer Bereitschaft oder gesetzlichen Verpflichtung dann auf eine zuständige Schlichtungsstelle hinzuweisen, wenn eine Streitigkeit aus einem Verbrauchergeschäft nicht beigelegt werden konnte. Gravierende inhaltliche Defizite, die zum einen in sprachlichen Ungenauigkeiten und zum anderen in einem schier unbestimmbaren pflichtauslösenden Ereignis zum Ausdruck kommen, werden Betroffenen eine zulängliche Umsetzung allerdings weitgehend unmöglich machen und daher ein kaum eingrenzbares Abmahnrisiko schaffen. Wahnwitzig mutet dies vor allem deshalb an, weil die neue Informationspflicht dem Verbraucher in den meisten Fällen keine Abhilfe, sondern bloß die Mitteilung einer Stelle bescheren wird, die er mangels unternehmerischer Teilnahmebereitschaft an der alternativen Streitbeilegung ohnehin niemals anrufen könnte.

Damit nimmt die neue Regelung als beschämendes Resultat eines überambitionierten, unreflektierten und kurzsichtigen Rechtssetzungsdrangs einen hohen Rang in der Liste der normativen Zweckverfehlungen ein und trägt durch die von ihr ausgehenden massiven Unsicherheiten prägnant dazu bei, dass der Handel mit Verbrauchern zunehmend zu einem existenzbedrohenden rechtlichen Minenfeld verkommt.

Bei Fragen zum VSBG und den neuen Informationspflichten steht Ihnen die IT-Recht Kanzlei gerne persönlich zur Verfügung.

Tipp: Sie haben Fragen zu dem Beitrag? Diskutieren Sie hierzu gerne mit uns in der Unternehmergruppe der IT-Recht Kanzlei auf Facebook .

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4 Kommentare

G
Georg Müller 05.03.2017, 12:38 Uhr
Richtige Frage stellen
Auch hier hilft es wieder die richtigen Fragen zu stellen um zu erkennen von wem das kommt und warum das so gemacht wurde.

Cui bono wäre eine.
J
J. Mascher 08.01.2017, 23:27 Uhr
...und der Irrsinn geht weiter... traurig!
Offensichtlich hat Deutschland noch zu wenige, ernste Probleme. Der Rest Europas lacht uns bereits aus, unsere Kollegen aus AUT, NL uns SWE kratzen sich die Köpfe, denn Deutschland ist aktuell eines der sehr wenigen Länder, in denen z.B. die ODR-Richtlinie durchgesetzt wird. Man hat offenbar in den verwinkelten Amtsstuben Berlins noch immer zu viel Zeit und zu wenig Kompetenz. Ich bin gespannt auf die nächste Abmahnwelle. Und bis dieser Abmahnwahn gesetzlich gestoppt wird, wird noch einige zeit vergehen, befürchte ich!
D
Dr. Servilius 08.01.2017, 10:41 Uhr
Klartext!
Eine hervorragende Analyse, die den Irrsinn begreiflich macht und mindestens ein erstes Verständnis hiervon schafft; dies als Voraussetzung für die Überlegung, wie man sich in diesem Wahnsinnsszenario selbst positionieren kann. Vielen Dank für diese Arbeit.

Erfreulich besonders der für Juristen eher ungewöhnliche Klartext in der Beurteilung und Kritik des gesetzgeberischen Unfugs.

Im nächsten Schritt würde ich mir noch einen Hinweis wünschen, wo und wie sich die "zuständigen" Stellen ermitteln lassen. Das würde vielen aufwendige eigene Recherchen ersparen.
H
Hans Morrow 07.01.2017, 10:26 Uhr
Nur Onlineshops?
Moin Moin,
gilt das jetzt nur für Onlineshops oder für jede gewerbliche Webseite?

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