Gesetzliche Musterwiderrufsbelehrung wieder falsch? EuGH kippt möglicherweise Nutzungsersatzpflicht bei Widerruf
Nachdem sich bereits die erste vom Gesetzgeber bereitgestellte Musterwiderrufsbelehrung als fehlerhaft und abmahnfähig erwiesen hat, droht dieses Schicksal auch der neuen Widerrufsbelehrung zu widerfahren. Der EuGH steht kurz davor, die nach deutschem Recht geltende Nutzungsersatzpflicht beim Widerruf eines Fernabsatzgeschäfts zu kippen.
Bereits im April 2008 hatte der EuGH der deutschen Regelung bzgl. des Nutzungsersatzes bei Rückgabe einer mangelhaften Sache Richtlinienwidrigkeit bescheinigt (Quelle-AG-Fall, EuGH vom 17.04.2008 Az.: C-404/06). Geschieht dies nun auch für den Widerruf, sind nahezu alle derzeit gültigen Widerrufsbelehrungen fehlerhaft und abmahnfähig.
Im Folgenden sollen die Hintergründe des Nutzungsersatzproblem und seine möglichen Lösungen dargestellt werden. Diesen schließt sich eine Prognose bzgl. der Entscheidung des EuGH an.
I. Ausgangssituation: Das Problem und die Antwort des deutschen Rechts
1. Das Problem im Allgemeinen
Das Problem des Nutzungs-bzw. Wertersatzes stellt sich (beim Kaufvertrag) immer dann, wenn eine gekaufte Sache aus irgendeinem Grund an den Händler zurückgegeben werden muss.
Die Sache hat sich nun ggf. verschlechtert (durch Abnutzung, unsachgemäße Handhabung etc), ist also in ihrem Wert gesunken. Zudem hat der Käufer die Sache bis zu ihrer Rückgabe in Gebrauch gehabt, konnte also aus ihrer Nutzung Vorteile ziehen, sog. Gebrauchsvorteile.
Im Allgemeinen sieht das Gesetz dann vor, dass der Käufer für solche Verschlechterungen Ersatz leisten muss und gezogene Nutzungen herauszugeben hat bzw., sollte die Herausgabe nicht möglich sein, deren Wert ersetzen muss. Nun sieht jedoch das EG-Recht in bestimmten Fällen vor, dass bei Verträgen zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher für letzteren die Rückgabe (weitgehend) unentgeltlich sein muss. So entsteht ein Konflikt zwischen nationalem Recht und EG-Recht.
2. Das Problem konkret
Ein eben solcher Konflikt hatte sich sowohl im (mittlerweile entschiedenen) Quelle-AG-Fall ergeben, als auch im dem EuGH derzeit zur Entscheidung vorliegenden Fall des Widerrufs eines Notebookkaufs (Az.: C-489/07, im Folgenden: Notebook-Fall).
Im Quelle-AG-Fall hatte die Käuferin einen Backofen erworben und diesen infolge eines Mangels nach mehreren Monaten an Quelle zurückgegeben und Nachlieferung gemäß. §§ 437 Nr. 1, 439 Abs. 1 BGB verlangt. Quelle war damit einverstanden, verlangte aber nicht nur den mangelhaften Ofen zurück sondern auch Ersatz für die mehrmonatige Benutzung des Ofens bis zu dessen Defekt.
Im Notebooks-Fall hatte die Käuferin ein gebrauchtes Notebook über das Internet erworben. Nach acht Monaten trat ein Defekt auf. Als der Verkäufer die kostenlose Reparatur verweigerte, widerrief die Käuferin gemäß §§ 312d Abs. 1 Satz 1, 355 Abs. 1 BGB den Kaufvertrag, was infolge fehlerhafter Widerrufsbelehrung noch möglich war. Der Verkäufer verlangte nun neben der Rückgabe des Notebooks auch Ersatz für dessen ca. achtmonatige Nutzung.
3. Die Antwort des deutschen Rechts
Die Antwort des deutschen Rechts fällt in beiden Fällen gleich aus.
Bei der Nachlieferung verweist § 439 Abs. 4 BGB hinsichtlich der Rechtsfolgen (Was passiert (mit der mangelhaften Sache), wenn der Verkäufer eine mangelfreie Sache liefert?) auf die §§ 346 bis 348 BGB.
Eben diese Regelungen finden auch im Falle des Widerrufs Anwendung, denn § 357 Abs. 1 Satz 1 BGB verweist hinsichtlich der Rechtsfolgen des Widerrufs (Was passiert mit der bereits erhaltenen Sache und mit dem bereits gezahlten Kaufpreis?) ebenfalls auf die §§ 346 ff. BGB.
Nun heißt es in § 346 Abs. 1 BGB:
[Im Falle der Nachlieferung/des Widerrufs]
"[...] sind [...] die empfangenen Leistungen zurückzugewähren und die gezogenen Nutzungen herauszugeben".
Weiter heißt es in § 346 Abs. 2 Nr. 1:
"Statt der Rückgewähr [der Leistungen] oder Herausgabe [der Nutzungen] hat der Schuldner Wertersatz zu leisten, soweit die Rückgewähr oder die Herausgabe nach der Natur des Erlangten ausgeschlossen ist,".
Demzufolge müssen sowohl der Backofen als auch das Laptop zurückgegeben werden. Außerdem haben beide Käuferinnen die gezogenen Nutzungen in Gestalt der Gebrauchsvorteile herauszugeben. Da in Beiden Fällen eine Herausgabe der Nutzungen ihrer Natur nach ausgeschlossen ist, muss Wertersatz, sprich eine Entschädigung in Geld, geleistet werden. Im Notebook-Fall hat der Verkäufer etwa die Miete für eine ca. achtmonatige Laptopnutzung veranschlagt.
Soweit die Lösung des deutschen Rechts, bei der die Verbraucher jeweils für ihre gezogenen Nutzungen bezahlen müssen.
II. Der Konflikt mit EG-Recht und die Lösungen/Lösungsvorschläge
In beiden Fällen standen/stehen nun der eindeutigen Lösungen des deutschen Rechts EG-Richtlinien entgegen. Im Quelle-AG-Fall die Verbraucherschutzrichtlinie 1999/44/EG, im Notebook-Fall die Fernabsatzrichtlinie 97/7/EG.
1. Quelle-AG-Fall
Der bereits entschiedene Quelle-AG-Fall soll hier nur kurz angesprochen werden.
Hier stand der deutschen Regelung Art. 3 der Verbraucherschutzrichtlinie entgegen, welcher besagt, dass eine Nachlieferung vom Verkäufer an den Verbraucher "unentgeltlich" erfolgen müsse.
Der EuGH hatte auf Vorlage des BGH entschieden, Art. 3 der Verbraucherschutzrichtlinie, insbesondere die Formulierung "unentgeltlich", sei dahingehend auszulegen, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, die dem Verkäufer, wenn er ein vertragswidriges (mangelhaftes) Verbrauchsgut geliefert hat, gestattet, vom Verbraucher Wertersatz für die Nutzung des vertragswidrigen Verbrauchsguts bis zu dessen Austausch durch ein neues Verbrauchsgut zu verlangen.
Der BGH hatte daraufhin die Wertersatzpflicht der Käuferin hinsichtlich der Nutzung des Backofens verneint (Urteil vom 26.11.2008, Az.: VIII ZR 200/05). Auch der Gesetzgeber reagierte kurze Zeit später und änderte § 474 Abs. 2 BGB dergestalt, dass beim Verbrauchsgüterkauf § 439 Abs. 4 BGB dahingehend anzuwenden ist, dass Nutzungen nicht herauszugeben sind oder ihr Wert zu ersetzen ist.
Für den Fall der Rückgabe einer mangelhaften Sache ist das Problem des Nutzungsersatzes daher nunmehr vollständig geklärt.
2. Notebook-Fall
a) Der Konflikt
Im Notebook-Fall steht der deutschen Regelung Art. 6 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 2 der Fernabsatzrichtlinie entgegen. In Art. 6 Abs. 2 heißt es:
"Der Verbraucher kann jeden Vertragsabschluss im Fernabsatz innerhalb einer Frist von mindestens sieben Werktagen ohne Angabe von Gründen und ohne Strafzahlung widerrufen. Die einzigen Kosten, die dem Verbraucher infolge der Ausübung seines Widerrufsrechts auferlegt werden können, sind die unmittelbaren Kosten der Rücksendung der Waren".
Wie im Quelle-AG-Fall ist hier nun fraglich, ob diese Bestimmungen so ausgelegt werden müssen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, die den Käufer im Falle des fristgerechten Widerrufs zum Nutzungsersatz bzw. zum Ersatz des Wertes der Nutzungen verpflichtet. Ist dies der Fall, so muss § 357 BGB, der die Rechtsfolgen des Widerrufs regelt (s.o.), richtlinienkonform ausgelegt und auf kurz oder lang geändert werden.
Diese Frage wurde vom den Fall verhandelnden AG Lahr dem EuGH zur Entscheidung vorgelegt (Vorlagebeschluss Az.: 5 C 138/07; EuGH Az.: C-489/07).
b) Stellungnahme Deutschlands, Österreichs und der Kommission
In ihren Stellungnahme gehen die deutsche und die österreichische Regierung gemeinsam mit der Europäischen Kommission davon aus, dass die Frage zu verneinen sei und eine nationale Regelung, die den Verbraucher zum Nutzungsersatz bzw. zum Ersatz des Wertes der Nutzungen verpflichte, richtlinienkonform sei. Unter anderem wird vorgebracht, dass der Wertersatz für Nutzungen weder "Kosten" darstelle noch "Strafzahlung" sei und damit nicht durch Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie verboten werde.
Vielmehr sei es nur billig, dass der Verbraucher eine ungerechtfertigte Bereicherung, die er durch die Nutzung einer Sache erlangt, welche er später unter vollständiger Rückerhaltung des Kaufpreises zurück gibt, wieder herausgeben muss.
b) Stellungnahme Belgiens, Spaniens und Portugals
Demgegenüber wollen die belgische, spanische und portugiesische Regierung die Frage bejahen. Dem Verbraucher dürften außer den genannten keinerlei Kosten auferlegt werden. Eine Verpflichtung zum Wertersatz würde das Widerrufsrecht zum rein formalen Recht degradieren und den Verbraucher an der Ausübung hindern.
Gerade im Bereich des Fernabsatzhandels müssten die Anforderungen an den Verbraucherschutz besonders hoch sein, um eine Schlechterstellung gegenüber dem konventionellen Handel zu verhindern.
c) Schlussantrag der Generalanwältin
Die Generalanwältin Verica Trstenjak stellt in ihrem Schlussantrag zunächst den Unterschied zwischen Nutzungswertersatz und Abnutzungswertersatz dar, bevor sie auf die Frage der Richtlinienkonformität eingeht. Ersterer stellt den Ersatz von Nutzungen in Form einer Art Leihgebühr dar. Letzterer hingegen meint den Ersatz von Verschlechterungen, die sich auf Grund des Gebrauchs an der Sache ergeben haben. Im Notebook-Fall geht es nur um den Nutzungswertersatz.
Ein solcher Nutzungswertersatz stellt nach Ansicht der Generalanwältin keine Strafzahlung im Sinne des Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie dar. Jedoch müsse der Begriff der Kosten in Art. 6 Abs. 2 weit verstanden werden, sodass ein Nutzungswertersatz darunter falle. Ein Wertersatz für Nutzungen wie der nach deutschem Recht stelle eine finanzielle Belastung dar, welche die Funktionsfähigkeit und Effektivität des Rechts auf Widerruf beeinträchtigen kann, sodass das Widerrufsrecht zu einem rein formalen Recht verkomme.
Daher sei die deutsche Regelung nicht mit der Richtlinie vereinbar.
Das finanzielle Risiko, dass dem Verkäufer entsteht, wenn er keinen Nutzungsersatz verlangen kann, sei aufgrund der in der Regel kurzen Widerrufsfristen von sieben oder vierzehn Tagen gering. Eine etwaige Verlängerung der Widerrufsfrist, die einen Nutzungswertersatz notwendig erscheinen lässt, sei regelmäßig auf ein Fehlverhalten des Verkäufers - Nichterfüllung der Informationspflichten - zurückzuführen und rechtfertige daher keine Schlechterstellung des Verbrauchers. Außerdem könne der Verkäufer das Risiko durch Einkalkulierung eines prozentualen Rücklaufs in seine Preise, sprich durch Umlegen der Kosten auf den Warenpreis und damit auf alle Käufer, kompensieren.
Schließlich weist die Generalanwältin noch darauf hin, dass die Möglichkeit eines Missbrauchs dieser Regelung durch Einzelne (etwa durch Bestellen von Waren, nur um diese innerhalb des Widerrufszeitraums zu benützen und dann rechtzeitig zurückzusenden) nicht zu Lasten aller Verbraucher gehen dürfe. Die Missbrauchsgefahr rechtfertige daher die Nutzungswertersatzpflicht nicht.
d) Entscheidung des EuGH
Wie der EuGH letztlich entscheiden wird, kann nicht vorhergesagt werden. Es ist jedoch sehr wahrscheinlich, dass er der Generalanwältin folgt und die deutsche Regelung als richtlinienwidrig einstuft. Dafür spricht vor allem die Entscheidung des EuGH im Quelle-AG-Fall. Zumindest für den Fall der Nichterfüllung von Informationspflichten seitens des Verkäufers sollte der EuGH eine Nutzungswertersatzpflicht verneinen, will er sich nicht widersprechen.
Denn wie im Quelle Fall ist die lange Nutzungsdauer durch den Verbraucher dann auf ein Fehlverhalten des Verkäufers zurückzuführen.
III. Fazit
Der EuGH wird aller Wahrscheinlichkeit nach wiederum die Verbraucherrechte stärken und eine Pflicht zum Ersatz der Nutzungen bzw. des Wertes der Nutzungen durch den Verbraucher verneinen. Es sei aber betont: Das zu erwartenden Urteil wird nur die Pflicht zum Nutzungswertersatz im Sinne einer Leihgebühr betreffen, also ob ein Verbraucher für die Dauer, während der er eine Sache nutzen konnte, die er später zurück gibt, einen bestimmten Geldbetrag zahlen muss, um für die ungerechtfertigt gezogenen Nutzungen aufzukommen.
Die Frage, inwiefern er für substantielle Verschlechterungen, die als Folge solcher Nutzung oder aber unsachgemäßer Handhabung, etc. auftreten können, Wertersatz leisten muss, bleibt außen vor.
Internethändler sollten das Thema Nutzungsersatz bei Widerruf im Auge behalten: Sollte der EuGH die Nutzungsersatzpflicht verneinen, so müssen die bisher gültigen Widerrufsbelehrungen geändert werden. Diese belehren momentan in der Regel dahingehend, dass Nutzungen herauszugeben sind. Auch wird eine Überprüfung notwendig werden, inwiefern bisher Kosten durch Einfordern eines Nutzungsersatzes bei Widerruf vermieden werden konnten. Diese Kosten müssten dann gegebenenfalls einkalkuliert oder auf den Warenpreis umgelegt werden.
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4 Kommentare
der Artikel wurde dann verbraucht und nicht gebraucht
Was ist denn, wenn jemand Verbrauchsmaterial wie zum Beispiel Tinten oder Toner bestellt, austestet (ohne diese wesentliche zu leeren) und wieder zurücksendet. Die Ware ist dann unverkäuflich.
Diese gute Dame sagt:
"Außerdem könne der Verkäufer das Risiko durch Einkalkulierung eines prozentualen Rücklaufs in seine Preise, sprich durch Umlegen der Kosten auf den Warenpreis und damit auf alle Käufer, kompensieren."
Nächster Satz:
"Schließlich weist die Generalanwältin noch darauf hin, dass die Möglichkeit ... nicht zu Lasten aller Verbraucher gehen dürfe."
Sie widerspricht sich in 2 Sätzen.
PS: Wer schützt eigentlich die Verkäufer vor den Käufern?
Eu Recht muss doch erst in das BGB übernommen werden, oder kann man in der BRD auch nach EU Recht verklagt werden ? wenn Händler eigenmächtig Texte verfassen, endet das doch immer in einer Abmahnung.
Solange die aktuelle Wid-Bel. keine gesetzesrang hat, sind alle Händler wieder zu 100% abmahngefährdet.
Ich hoffe der kommt noch, bevor die EU ein Urteil fällt. Dann sind wenigstens alle Händler sicher, bis die neue Text-Version gültig wird die den Wertersatz entsprechend EU Vorgaben neu regelt.
mfg
klaus fischer